Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
pflügten durch wogende, düstere Gewässer. Die Temperatur fiel um fünfzehn Grad. Kalte Regenböen geißelten das Deck. Quentin hätte nicht genau festlegen können, wo sie die Grenze überquert hatten, jedoch schien das sie umgebende Wasser ein völlig anderes Element zu sein als das, auf dem sie noch kurz zuvor gesegelt waren, etwas Trübes, Festes, das beiseitegestoßen und -geschoben werden musste, anstatt dass man leise hätte hindurchgleiten können.
Die
Muntjak
drängte sich geschickt durch die Wellen, getrieben von einer steifen, salzigen Brise. Das Schiff hielt eine Überraschung für sie bereit: Unterhalb der Wasserlinie – schwer zu sehen durch die kabbelige See – hatte es ein Paar glatter, hölzerner Flossen ausgeklappt. Sie waren in Fächern in der Schiffswand verborgen gewesen und ruderten sie zusätzlich voran. Ob sie von Magie oder einem verborgenen Mechanismus angetrieben wurden, wusste Quentin nicht, doch ein warmes Gefühl der Dankbarkeit wallte in ihm auf. Das alte Schiff zeigte sich für seine Freundlichkeit mehr als erkenntlich.
Quentin hielt es für möglich, dass das Faultier ihm etwas darüber erzählen konnte, da es so viel Zeit unter Deck verbrachte, doch als er es besuchte, schlief es gerade. Es hing an seinen Bootshaken-Klauen und ließ sich vom Rollen des Schiffs sanft hin und her schaukeln. Das schlechte Wetter schien es eher angenehm zu finden. Die Luft im Frachtraum war warm, feucht und voller Faultiergeruch. In der Bilge schwappte ein Salat aus verrottenden Obstschalen und anderen, undefinierbaren Essensresten.
Dann eben weiter zu Julia; vielleicht wusste sie etwas. Außerdem wollte Quentin mit ihr über den magischen Schlüssel reden. Sie war ihm als Einzige an Bord ebenbürtig und hatte Zugang zu Quellen, die ihm verborgen blieben. Nicht zuletzt machte er sich Sorgen um sie.
Nachdem sich das Wetter verschlechtert hatte, hielt sich Julia noch häufiger als sonst in ihrer Kajüte auf. Sie mochte spirituell mit Fillory verbunden sein; trotzdem hatte ihr der eiskalte Nieselregen sogar unter Deck zu schaffen gemacht. Quentin tappte die enge Treppe zu ihrer Kabine hinunter, wobei ihn plötzliche, hohe Wellen spielerisch mal gegen die eine, mal gegen die andere Wand warfen.
Julias Tür war geschlossen. Für einen Moment, als die
Muntjak
schwerelos auf dem Kamm einer Welle balancierte, wurde Quentin die Romantik der Situation sehr deutlich bewusst. Seine Verliebtheit regte sich in ihm und entfaltete ihre ledrigen Flügel. Er wusste, dass sie zumindest teilweise auf Einbildung beruhte. Julia war so distanziert, so verbunden mit Fillory, dass es schwer vorstellbar war, sie könne ihn oder überhaupt irgendein menschliches Wesen begehren. Ihr fehlte irgendetwas, aber wahrscheinlich kein Liebhaber.
Doch immerhin waren sie nun beide hier, weit draußen auf See, sturmgebeutelt, aber an einem warmen Plätzchen mitten in der eisigen Einöde des Ozeans. Wie befreiend, den abfälligen, klatschsüchtigen Blicken Eliots und Janets für eine Weile entflohen zu sein! Julia konnte doch nicht so weit abgedriftet sein, dass sie den Reiz einer Schiffsaffäre nicht erkannte. Das Drehbuch schrieb sich quasi von selbst. Sie war schließlich auch nur ein Mensch, und schon bald würden sie wieder zu Hause sein. Er klopfte an ihre Tür.
Im Hinterkopf, nie ausgesprochen, aber immer als unterschwelliges Gefühl vorhanden, war das Bewusstsein, dass Julia aus seiner Vergangenheit stammte, aus der Zeit bevor er nach Brakebills gegangen war, bevor er wusste, dass die Magie etwas Reales war, bevor sein neues Leben angefangen hatte. Alice hatte sie nie kennengelernt. Wenn er sich wieder in Julia verlieben könnte, wäre es, als drehe er sein eigenes Leben zurück und könne noch einmal von vorn beginnen. Wobei er sich manchmal nicht ganz sicher war, ob er wirklich in Julia verliebt war oder es sich nur einredete, weil es so tröstlich und eine solche Erleichterung gewesen wäre, sie zu lieben. Es schien eine so gute Idee zu sein – kaum ein Unterschied zur wahren Liebe.
Julia öffnete die Tür. Sie war nackt.
Nein, nicht ganz nackt. Sie trug ein Kleid, irgendwie, aber nur bis zur Taille. Das Oberteil hing vorne herunter, und ihre Brüste waren entblößt. Sie waren blass und konisch, weder üppig noch klein. Sie waren perfekt. Mit siebzehn hatte Quentin Monate damit zugebracht, sich Julias Oberkörper auszumalen, anhand der konkreten Indizien, die er durch flüchtige Beobachtungen in bekleidetem Zustand
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