Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
gewonnen hatte. Es stellte sich heraus, dass er ziemlich nah dran gewesen war. Nur ihre Brustwarzen sahen anders aus, als er erwartet hatte, blasser, kaum dunkler als die helle Haut, die sie umgab.
Er trat einen Schritt zurück und schloss die Tür wieder – er knallte sie nicht, zog sie aber energisch zu.
»Mein Gott, Julia!«, flüsterte er atemlos, jedoch mehr zu sich selbst als zu ihr.
Eine lange Minute verging. Quentin verbrachte sie an die Wand neben Julias Tür gelehnt. Er spürte, wie sein Herz gegen das harte Holz klopfte. Natürlich wünschte er sich, dass etwas passierte, aber nicht das. Oder besser: nicht so. Was sollte das denn, ihre Titten derart vor seiner Nase herumzuschwenken? Sollte das ein Witz sein? Er hörte, wie sie in ihrer Kajüte umherging, holte tief Luft und klopfte noch einmal an. Als sie diesmal öffnete, war sie vollständig bekleidet.
»Was machst du denn, mein Gott nochmal?«, fragte er.
»Entschuldige«, antwortete sie gleichgültig.
Sie setzte sich auf einen kleinen Hocker am anderen Ende des Raums, das Gesicht zum Fenster gedreht. Sie hatte ihn nicht hereingebeten, ihm aber auch nicht die Tür vor der Nase zugemacht. Unsicher trat Quentin ein.
Julias Unterkunft war das spiegelverkehrte Abbild seiner Kajüte, doch durch eine Abweichung im Schiffsplan, eine Treppe auf seiner Seite, war Julias Kabine etwas größer, so dass zwei Leute darin sitzen konnten, wenn einer mit dem Bett vorliebnahm. In diesem Fall war es Quentin. Das Licht stammte von einer glühenden blauen Kugel, die an der Decke auf- und abhüpfte wie ein Ballon ohne Kordel, ein seltsamer Zauber Julias, der aussah wie ein gefangenes Irrlicht.
»Tut mir leid«, wiederholte sie. »Ich hab einfach nicht dran gedacht.«
»Woran hast du nicht gedacht?« Es kam ärgerlicher heraus, als er beabsichtigt hatte. »Dass deine Arme in die Ärmel gehören? Also, nicht, dass ich deine …« Nein, dieser Satz würde kein gutes Ende nehmen. »Ach, schon gut.«
Er sah sie an, so aufmerksam wie schon lange nicht mehr. Sie war noch immer schön, aber dünn, viel zu dünn. Und ihre Augen waren noch immer schwarz. Quentin fragte sich, ob diese Veränderung irreversibel war, und wenn ja, was sich sonst noch in anderer, nicht sichtbarer Hinsicht verändert hatte.
»Keine Ahnung.« Sie starrte hinaus auf die Gischt. »Ich habe vergessen, woran ich nicht gedacht habe.«
»Wie auch immer – es ist dir jedenfalls wieder eingefallen.«
»Weißt du, manchmal vergesse ich, wie gewisse Dinge funktionieren, oder vielleicht eher, warum sie so oder so funktionieren. Warum Menschen sich grüßen, warum sie baden, Kleider tragen, Bücher lesen, lächeln, reden, essen. Diese ganzen menschlichen Tätigkeiten.« Sie verzog den Mund zu einer Seite.
»Das verstehe ich nicht, Julia.« Quentins Ärger war verflogen. Er hielt sich immer wieder vor Augen, wie schwer Julia es hatte, und jedes Mal musste er erkennen, dass es noch schlimmer war, als er angenommen hatte. »Bitte erkläre es mir. Du bist doch ein Mensch. Warum solltest du das vergessen? Wie geht so etwas?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schüttelte den Kopf und richtete dann ihre schwarzen Augen auf ihn. »Ich verliere es. Es verliert mich. Es schwindet.«
»Was, Julia? Was ist bloß mir dir passiert? Musst du zurück in die Welt?«
»Nein!«, erwiderte sie schroff. »Ich gehe nicht zurück. Nie wieder!«
Die Vorstellung schien sie zu ängstigen.
»Aber du erinnerst dich an Brooklyn, oder? Wo wir herkommen? Und an James, an die Highschool und das alles?«
»Erinnern!« Wieder verzog sich ihr zarter Mund zu einer verbitterten Grimasse. Sie antwortete mit einer Stimme, die ihrer früheren glich, und in ihrer typischen Ausdrucksweise: »Das war schon immer mein Problem. Ich konnte mich an Brakebills erinnern. Konnte es nicht vergessen.«
Quentin wusste noch sehr genau, wie diese Erinnerung sie gequält hatte. Sie war beim Aufnahmeexamen für Brakebills durchgefallen und hätte eigentlich anschließend alles vergessen sollen, damit die Existenz der Schule ein Geheimnis blieb. Zur Sicherheit hatte man sie mit einem entsprechenden Zauber belegt. Doch der Zauber war nicht von Dauer gewesen, und sie hatte nicht alles vergessen.
Dadurch war sie immerhin hierhergelangt, überlegte er. Auf ein magisches Schiff auf einem magischen Ozean. Es hatte sie zur Königin einer verborgenen Welt gemacht. Ihre Pfade waren verschlungen gewesen, hatten aber zu einem Happy End geführt, oder? Dann
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