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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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war merkwürdig befreiend, sich inmitten der häuslichen Agonie anderer Leute zu befinden – Quentin konnte die negative emotionale Energie in alle Richtungen ausstrahlen sehen. Sie sterilisierte jede erreichbare Oberfläche mit ihren giftigen Partikeln, durchdrang ihn selbst jedoch, ohne Schäden zu hinterlassen, wie Neutrinos. Hier war er wie Superman, wie von einem anderen Planeten, was ihn gegen jeden lokalen Schurkenstreich immun machte. Aber er erkannte die ruinösen Auswirkungen auf Alice und versuchte sie abzuschirmen, so gut er konnte. Er begriff die Regeln hier instinktiv und wusste, wie es sich anfühlte, Eltern zu haben, die einen vollkommen ignorierten. Der einzige Unterschied war, dass seine Eltern es taten, weil sie einander liebten, und Alice’, weil sie einander hassten.
    Wenigstens war das Haus ruhig und bestens mit römisch anmutenden Weinen ausgestattet, süß, aber absolut trinkbar. Außerdem war es ziemlich verschwiegen: Alice und er konnten ihr eigenes Schlafzimmer beziehen, ohne dass es ihre Eltern kümmerte – wenn sie es überhaupt bemerkten. Und dann diese Bäder: Alice’ Vater hatte riesige, höhlenartige römische Bäder ausgegraben, die sie ganz für sich allein hatten, gigantische, längliche Grundwasserpools, ausgehoben in der Tundra des mittleren Westens. Jeden Morgen verbrachten sie eine gute Stunde damit, zu versuchen, sich gegenseitig in das kochend heiße caldarium oder das eiskalte frigidarium zu werfen, die beide gleich unerträglich waren. Anschließend schwitzten sie nackt im tepidarium .
    Im Laufe der beiden Wochen erblickte Quentin Alice’ Mutter genau ein Mal. Wenn überhaupt möglich glich sie Alice noch weniger als Alice’ Vater: Sie war dünn und groß, größer als ihr Mann, mit einem langen, schmalen, ausdrucksvollen Gesicht und spröden, blond-braunen Haaren, die sie als Knoten im Nacken trug. Sie plauderte mit Quentin ernsthaft über die Forschungen, die sie über Feenmusik durchführte, welche, so erklärte sie, meist für winzige Glocken komponiert und für das menschliche Ohr nicht hörbar sei. Sie hielt Quentin fast eine Stunde lang einen Vortrag, bei dem er nicht ein einziges Wort erwiderte, ohne ihn einmal zu fragen, wer er sei und was er in ihrem Haus tat. Irgendwann wanderten ihre kleinen Brüste aus der schief zugeknöpften Strickjacke heraus, die sie ohne etwas darunter trug. Sie schob sie zurück ohne das geringste Zeichen der Verlegenheit. Quentin hatte den Eindruck, dass es eine Weile her war, seitdem sie das letzte Mal mit jemandem gesprochen hatte.
    »Ich mache mir etwas Sorgen um deine Eltern«, bemerkte Quentin an jenem Nachmittag Alice gegenüber. »Ich befürchte, dass sie komplett verrückt sind.«
    Sie hatten sich in Alice’ Zimmer zurückgezogen, wo sie in Bademänteln nebeneinander auf ihrem enormen Bett lagen. Sie blickten hinauf zum Deckenmosaik: Orpheus, der einem Widder, einer Antilope und einer Schar aufmerksamer Vögel vorsang.
    »Meinst du?«
    »Alice, ich glaube, du weißt, dass sie irgendwie merkwürdig sind.«
    »Ja, vielleicht. Ich meine, ich hasse sie, aber sie sind meine Eltern. Ich sehe sie nicht als verrückt an, sondern eher als vollkommen normale Leute, die sich so verhalten, um mich zu quälen. Wenn du behauptest, dass sie geistig verwirrt sind, entlässt du sie nur aus der Verantwortung. Du hilfst ihnen, sich der Anklage zu entziehen.
    Wie dem auch sei, ich habe gedacht, du würdest sie vielleicht interessant finden«, fuhr sie fort. »Ich weiß, wie sehr dich alles Magische fasziniert. Nun, voilà , zu deiner Erheiterung, zwei erfolgreiche Magier.«
    Er fragte sich, rein theoretisch, wer von ihnen beiden es schlimmer getroffen hatte. Alice’ Eltern waren toxische Ungeheuer, aber man sah es ihnen wenigstens an. Seine Eltern dagegen glichen eher Vampiren oder Werwölfen, die äußerlich menschlichen Wesen ähnelten. Er konnte über ihre furchtbaren Untaten lamentieren, wie er wollte, die Dorfbewohner würden ihm niemals glauben, bis es zu spät war.
    »Jedenfalls ist mir jetzt klar, woher deine soziale Kompetenz stammt«, sagte er.
    »Ich sag dir, du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie es ist, in einer Familie von Zauberern aufzuwachsen.«
    »Tatsächlich habe ich nicht gewusst, dass du eine Toga tragen musstest.«
    »Man muss keine Togen tragen. Genau das ist ja das Problem, Q. Man muss überhaupt nichts. Du verstehst das einfach nicht! Du kennst keine älteren Magier außer unseren Dozenten. Das ist eine

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