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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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erfuhr er, dass er sich in einem Kloster oder so etwas Ähnlichem befand. Das war alles, was er aus den Zentauren herausbekam, die diesen Ort verwalteten. Es sei kein Ort der Anbetung, erklärten sie mit einem Unterton wiehernder Herablassung, sondern hier lebe eine Gemeinschaft, die dem äußerst möglichen Ausdruck, oder besser, der Inkarnation – oder vielleicht sei Realisation das bessere Wort – ergeben sei, jenen unbegreiflich komplexen, aber unendlich reinen silvanen Werten des Zentaurenwesens, die Quentins niederer menschlicher Verstand sowieso nie hoffen könne, jemals zu verstehen. Die Zentauren hatten etwas ausgeprägt Deutsches an sich.
    Nicht besonders taktvoll gaben sie ihm zu verstehen, dass sie Menschen als niedere Wesen betrachteten. Wozu die Menschen jedoch nichts konnten. Sie waren einfach Krüppel, durch einen unglücklichen Geburtsfehler von ihren rechtmäßigen Pferdehälften getrennt. Die Zentauren betrachteten Quentin voller Mitleid, welches allerdings durch einen fast völligen Mangel echter Anteilnahme gemäßigt wurde. Außerdem schienen sie ständig Angst zu haben, er könne das Gleichgewicht verlieren und umkippen.
    Keiner von ihnen wusste noch genau, wie Quentin eigentlich hierher geraten war. Sie hatten die Hintergrundgeschichte dieses verletzten menschlichen Gelegenheitsgastes, der zufällig in ihrer Mitte gelandet war, nicht besonders aufmerksam verfolgt. Als er nachhakte, erklärte Quentins Ärztin, eine furchtbar ernsthafte Dame namens Alder Ahorn Agnes Allison-duftendes-Holz, sie erinnere sich dunkel an einige Menschen, übrigens ungewöhnlich schmutzig und heruntergekommen, die Quentin auf einer improvisierten Bahre zu ihnen gebracht hatten. Er sei bewusstlos und in tiefem Schockzustand gewesen. Sein Brustkorb sei zerquetscht und eine seiner Vordergliedmaßen schlimm ausgerenkt, ja, fast abgerissen gewesen. Eine solche anatomische Anomalie war den Zentauren zuwider, und außerdem waren sie nicht unempfänglich für den Dienst, den die Menschen Fillory erwiesen hatten, indem sie es von Martin Chatwin befreiten. Daher halfen sie ihnen äußerst bereitwillig.
    Die Menschen blieben ungefähr einen Monat lang in der Gegend, vielleicht auch zwei, während die Zentauren tiefe Netze der Waldmagie rund um Quentins zerrissenen, verletzten, geschändeten Körper woben. Doch sie hielten es für unwahrscheinlich, dass er je wieder aufwachen würde. Als Quentin nach einer Weile keinerlei Anzeichen zeigte, das Bewusstsein zurückzuerlangen, nahmen die Menschen widerstrebend Abschied.
    Quentin hätte durchaus Grund dazu gehabt, sich darüber zu ärgern, dass seine Freunde ihn hier in Fillory allein zurückgelassen hatten, ohne die Möglichkeit, je wieder in seine Welt zurückzukehren. Doch alles, was er empfand, war dankbare, feige Erleichterung. Auf diese Weise brauchte er ihnen nicht gegenüberzutreten. Der Anblick ihrer Gesichter hätte ihm vor Scham sofort die Haut weggebrannt. Er wünschte, er wäre gestorben, doch wenn er den Tod nicht haben konnte, dann wenigstens das Zweitbeste: die absolute Isolation, für immer verloren in Fillory. Er war in einer Art und Weise gebrochen, die nie und nimmer durch Magie geheilt werden konnte.
    Er war immer noch sehr schwach, verbrachte viel Zeit im Bett und ruhte seine atrophierten Muskeln aus. Er war eine leere Hülle, mit einem stumpfen Werkzeug grob ausgehöhlt, ausgeweidet und zurückgelassen, eine schlaffe, wunde, knochenlose Haut. Wenn er sich anstrengte, konnte er einige Erinnerungen an alte Sinneswahrnehmungen heraufbeschwören, nichts aus Fillory oder Brakebills, sondern ganz frühe, leichte, sichere Eindrücke. Der Geruch der Ölfarben seiner Mutter, das fahle Grün des Gowanus-Kanals, die merkwürdige Art, wie Julia mit den Lippen das Mundstück ihrer Oboe umschloss, der Hurrikan, der bei ihrem Familienurlaub in Maine gewütet hatte. Damals musste er ungefähr acht gewesen sein. Sie waren hinaus auf die Wiese gelaufen, hatten ihre Pullover in die Luft geworfen, zugesehen, wie sie über den Nachbarzaun segelten und hatten sich vor Lachen auf dem Boden gewälzt.
    Ein wunderschöner, weiß blühender Kirschbaum stand vor seinem Fenster im warmen Sonnenlicht. Jeder Teil von ihm bewegte und wiegte sich in einem etwas anderen Rhythmus als alle anderen Teile. Quentin beobachtete ihn lange Zeit.
    Wenn er sich mutig fühlte, dachte er über die Zeit nach, in der er als Gänserich gen Süden geflogen war, Flügelspitze an Flügelspitze mit Alice,

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