Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
Vom Netzwerk:
abgeschlossen war, war Alice vom Boden abgehoben. Sie war jetzt reines Feuer und ihr Gesicht drückte jene besondere Verrücktheit aus, die den Phänomenen, die weder lebendig noch tot sind, eigen ist. Sie schwebte so leicht in der Luft, als treibe sie in einem Schwimmbecken.
    Der Geist, der Alice ersetzt hatte, der Niffin , betrachtete sie alle gleichgültig mit seinen funkelnden, irren, leeren Saphiraugen. Trotz ihrer gewaltigen Macht wirkte sie zart, wie aus Murano-Glas geblasen. Quentin beobachtete das Ganze mit distanziertem, theoretischem Interesse, durch einen roten Nebel der Qual. Die Fähigkeit, Angst, Liebe, Trauer oder irgendetwas anderes als Schmerzen zu empfinden, war ebenso verschwunden wie seine periphere Sicht.
    Das war nicht Alice. Das war ein zerstörerischer Engel, erfüllt von gerechtem Zorn. Sie war blau und nackt und trug einen Ausdruck unwiderstehlichen Übermuts im Gesicht.
    Quentin hielt die Luft an. Für einen Augenblick schwebte Alice vor dem Ungeheuer, strahlend vor Vorfreude. Im letzten Moment begriff Martin, dass sich das Blatt gewendet hatte. Er trat einen Schritt zurück und schoss dann so schnell davon, dass man ihn nur noch undeutlich erkennen konnte. Doch selbst das war zu langsam. Schon hatte ihn der Engel an seinen grauen, konservativ geschnittenen Haaren gepackt. Mit der anderen Hand auf Martin Chatwins Schulter abgestützt, riss sie ihm mit einem lauten, trockenen Reißgeräusch den Kopf ab.
    Für Quentin war es zu anstrengend geworden, all diese Vorgänge weiter zu beobachten. Er verfolgte sie wie ein verschwindendes Funksignal, aber es war unendlich schwer, einen klaren Empfang aufrechtzuerhalten. Er rollte sich melancholisch-langsam auf den Rücken.
    Sein Verstand war zu einer irren Parodie seiner selbst geworden, dünn gezogen wie Toffee, durchscheinend wie Zellophan. Etwas Unaussprechliches war geschehen, aber er konnte es nicht begreifen. Irgendwie war die Welt, wie er sie kannte, nicht länger existent. Es gelang ihm, eine einigermaßen weiche Stelle im Sand zu finden, wo er sich ausstrecken konnte – wirklich rücksichtsvoll von Martin, sie in einen Raum geführt zu haben, in dem der Sand so herrlich fein und kühl war. Eine Schande, dass dieser reine weiße Sand jetzt fast vollständig mit Blut durchtränkt war, seinem und Pennys. Er fragte sich, ob Penny noch lebte. Er fragte sich, ob es wohl möglich wäre, die Besinnung zu verlieren. Er wünschte sich, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen.
    Quentin hörte das Scharren eines feinen Lederschuhs und Eliot tauchte in dem Deckenabschnitt direkt über ihm auf. Dann verschwand er wieder.
    Von einem unbestimmten Ort in Raum und Zeit erreichte Embers Stimme Quentin. Noch nicht tot, dachte er. Zäher Hund. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung.
    »Ihr habt gewonnen«, bähte die Stimme des Widders aus den Schatten. »Empfange deinen Preis, oh Held!«
    Eliot hob die goldene Krone des edlen Königs von Fillory hoch. Mit einem unartikulierten Schrei schleuderte er sie wie einen Diskus in die Dunkelheit.
    Der letzte Traum war zerbrochen. Quentin verlor die Besinnung oder starb, er wusste es nicht.

Buch IV

DIE ZUFLUCHT
    Quentin erwachte in einem wunderschönen weißen Raum. Für eine Sekunde – oder war es eine Stunde? eine Woche? – glaubte er, es sei sein Zimmer in Brakebills Süd und er sei wieder in der Antarktis. Doch dann sah er, dass das Fenster offen stand und schwere grüne Vorhänge sich nach innen bauschten, dann nach außen und wieder hinein, mit den Böen eines warmen Sommerwinds. Es konnte also nicht die Antarktis sein.
    Er lag da, blickte hinauf an die Decke und ließ sich auf kosmischen, narkotischen mentalen Strömungen treiben und herumwirbeln. Er verspürte nicht einen Funken Neugier. Er wollte gar nicht wissen, wo er war oder wie er dorthin gelangt war. Selig genoss er unbedeutende Kleinigkeiten: das Sonnenlicht, den Duft reiner Bettwäsche, den kleinen Ausschnitt eines blauen Himmels im Fenster, die knorrigen Astlöcher der dunkel-schokoladenbraunen Balken, die sich über die weiß getünchte Decke zogen. Er lebte.
    Und dann diese hübschen, überraschend altmodischen Vorhänge in der Farbe von Pflanzenstängeln! Sie bestanden aus grob gewebtem Leinen, hatten aber nichts von der vertrauten, deprimierend pseudo-authentischen Grobheit hochpreisiger Bioprodukte, die lediglich die echte Grobheit jener Stoffe imitierten, die aus wirklicher Notwendigkeit von Hand gewebt wurden. Quentins

Weitere Kostenlose Bücher