Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
Vom Netzwerk:
brauchte, und es verschmolz nahtlos mit dem umliegenden Gewebe, ohne eine Narbe. Es gefiel ihm. Auch Quentins rechtes Knie bestand jetzt aus Holz. Er konnte sich nicht genau daran erinnern, wann er sich dort eine Verletzung zugezogen hatte, aber wie auch immer, vielleicht war etwas Unvorgesehenes auf dem Rückweg geschehen.
    Und es gab noch eine weitere Veränderung: Sein Haar war vollständig weiß geworden, sogar seine Augenbrauen, wie bei der Figur in Edgar Allan Poes Erzählung »Hinab in den Maelström«. Er sah aus, als trüge er eine Andy-Warhol-Perücke.
    Er tat alles, um nicht stillsitzen zu müssen. Er übte auf einem weitläufigen, unbenutzten, von Unkraut überwucherten Schießstand das Bogenschießen. Wenn es ihm gelang, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, brachte er einen der jüngeren Zentauren dazu, ihm die Grundlagen des Reitens und Säbelfechtens beizubringen, unter dem Deckmäntelchen einer Physiotherapie. Manchmal stellte er sich vor, sein Sparringpartner sei Martin Chatwin, manchmal nicht, aber so oder so traf er seinen Gegner nicht ein einziges Mal. Eine kleine Gruppe sprechender Tiere hatte Quentins Anwesenheit in der Zuflucht entdeckt, ein Dachs und einige übergroße sprechende Kaninchen. Aufgeregt beim Anblick und dem Geruch eines Menschen, und dann auch noch von der Erde, hatten sie sich in den Kopf gesetzt, dass er der nächste König von Fillory sein würde. Als er ärgerlich darauf beharrte, dass sie sich irrten und er jegliches Interesse an diesem speziellen Aufstieg verloren habe, gaben sie ihm den Spitznahmen »widerwilliger König« und hinterließen Geschenke wie Nüsse und Kohlköpfe vor seinem Fenster. Auch bastelten sie armselige handgemachte (oder besser: pfotengemachte) Kronen für ihn, die sie aus Zweigen flochten und mit wertlosen Quarzkieseln schmückten. Er riss sie auseinander.
    Eine kleine Herde zahmer Pferde wanderte frei auf den weitläufigen Rasenflächen der Zuflucht umher. Zunächst hielt Quentin sie einfach für Haustiere, aber das Arrangement erwies sich als ein klein wenig komplizierter. Zentauren beider Geschlechter kopulierten häufig mit den Pferden, öffentlich und lautstark.
    Quentin hatte seine wenigen Habseligkeiten in kleinen Stapeln an der Wand abgelegt gefunden. Er verstaute sie in einer Kommode; sie nahmen genau die Hälfte von einer der fünf Schubladen in Anspruch. In seinem Zimmer stand außerdem ein klappriger, alter Schreibtisch im Florida-Stil, weißgrün lackiert, und eines Tages kramte Quentin in den verzogenen, schlecht eingepassten Schubladen herum, um herauszufinden, was seine Vorgänger womöglich hinterlassen hatten. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, es ein wenig mit geschriebener Magie zu versuchen, ein wenig grundlegender Wahrsagetechnik, um herauszufinden, wie es den anderen ergangen war. Höchstwahrscheinlich würde es zwischen zwei verschiedenen Ebenen nicht funktionieren, aber man konnte ja nie wissen. Neben einer Sammlung alter Knöpfe, vertrockneter Kastanien und exotischen fillorischen Insektenpanzern fand er zwei Umschläge und dazu einen trockenen, zähen, belaubten Zweig in dem Schreibtisch.
    Die Umschläge waren dick und aus dem groben, gebleichten weißen Papier gefertigt, das die Zentauren herstellten. Auf dem ersten stand sein Name in einer eleganten schnörkeligen Handschrift, die Quentin als die Eliots erkannte. Plötzlich wurde alles verschwommen und er musste sich setzen.
    In dem Umschlag befand sich eine Notiz. Sie war um die Überreste einer plattgedrückten, ausgetrockneten Merit-Ultra-Light-Zigarette gewickelt. Quentin las:
Lieber Q,
 
es war ein tierischer Stress, Dich aus dieser Höhle rauszukriegen. Richard ist schließlich aufgetaucht, wofür wir ihm dankbar sein sollten, obwohl er es einem Gott weiß nicht leicht macht.
Wir wollten bleiben, Q, aber es war schwer und wurde mit jedem Tag schwerer. Die Zentauren sagten, die Heilmittel würden nicht wirken, aber wenn Du das hier liest, bist Du wohl endlich aufgewacht. Mir tut alles furchtbar leid. Dir auch, dass weiß ich. Ich weiß, dass ich gesagt habe, ich bräuchte keine Familie, um zu dem zu werden, der ich sein sollte, aber es hat sich herausgestellt, dass ich doch eine brauchte. Und das warst Du.
 
Wir sehen uns wieder.
– E
    Der andere Umschlag enthielt ein Notizbuch. Es war dick, sah alt aus und hatte angestoßene Ecken. Quentin erkannte es auf den ersten Blick wieder, obwohl er es seit einem kalten Novembernachmittag vor sechs Jahren nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher