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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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zurückzusegeln. Er gab ihnen den Rest des Goldes, das er mitgebracht hatte, küsste die siebenfingrige Schwester zum Abschied, ließ das Beiboot zu Wasser und ruderte an die Küste. Er schwang den Bogen auf den Rücken und bahnte sich einen Weg durch den schneeerstickten Wald. Es tat gut, wieder allein zu sein.
    Das Suchmich-Tier zeigte sich in der dritten Nacht. Quentin hatte sein Lager auf einem niedrigen Felsen aufgeschlagen, von dem aus er einen klaren, von einer Quelle gespeisten Teich überblickte. Kurz vor Morgengrauen erwachte er und entdeckte den Hirsch am Ufer. Sein Spiegelbild zitterte, als er von dem kalten Wasser trank. Quentin wartete einen Augenblick ab, auf ein Bein gekniet. Jetzt! Er spannte den Bogen und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Von dem niedrigen Felsen aus und in der fast windstillen frühmorgendlichen Luft war es nicht einmal ein schwieriger Schuss. Im Moment des Loslassens dachte er: Ich vollbringe, was nicht einmal die Chatwins geschafft haben, Helen und Rupert. Doch er empfand nicht das Vergnügen, mit dem er gerechnet hatte. Der Pfeil bohrte sich in den muskulösen hinteren Oberschenkel des weißen Hirsches.
    Quentin zuckte zusammen. Zum Glück hatte er keine Arterie getroffen. Der Hirsch versuchte nicht zu fliehen, sondern setzte sich steif auf die Hinterbacken wie eine verletzte Katze. Seine resignierte Miene vermittelte Quentin den Eindruck, dass das Suchmich-Tier diese Prozedur ungefähr einmal pro Jahrhundert durchmachen musste. Berufsrisiko. Im Zwielicht kurz vor Sonnenaufgang sah sein Blut schwarz aus.
    Der Hirsch zeigte keine Furcht, als Quentin sich näherte. Er drehte seinen geschmeidigen Hals nach hinten und packte den Pfeil zwischen die quadratischen weißen Zähne. Mit einem Ruck riss er den Pfeil heraus und spuckte ihn Quentin vor die Füße.
    »Tut weh«, sagte das Suchmich-Tier sachlich.
    Es war drei Tage her, seitdem Quentin mit irgendjemandem gesprochen hatte.
    »Und was jetzt?«, fragte er heiser.
    »Wünsche, natürlich. Du hast drei.«
    »Mein Freund Penny hat seine Hände verloren. Gib sie ihm wieder.«
    Die Augen des Hirsches wirkten für einen Moment geistesabwesend.
    »Ich kann nicht. Tut mir leid. Er ist entweder tot oder nicht in dieser Welt.«
    Die Sonne ging gerade über dem dunklen, dichten Tannenwald auf. Quentin holte tief Luft. Die kalte Luft roch frisch und ein wenig nach Terpentin.
    »Alice. Sie hat sich in eine Art Geist verwandelt. Einen Niffin . Bring sie zurück.«
    »Auch das kann ich nicht.«
    »Was soll das heißen, du kannst nicht? Es ist ein Wunsch!«
    »Ich habe mir die Regeln nicht ausgedacht«, erwiderte das Suchmich-Tier und leckte an dem Blut, das noch immer seinen Oberschenkel hinunterlief. »Wenn’s dir nicht passt, such dir einen anderen magischen Hirsch und schieß auf den.«
    »Ich wünsche mir, dass die Regeln geändert werden.«
    Der Hirsch verdrehte die Augen. »Nein. Ich rechne diese drei zusammen als deinen ersten Wunsch. Wie lautet der zweite?«
    »Bezahle meine Mannschaft. Das Doppelte von dem, was ich ihnen versprochen habe.«
    »Gewährt«, antwortete das Suchmich-Tier.
    »Das wäre das Zehnfache ihrer Grundheuer, da ich die schon verfünffacht habe.«
    »Ich habe gesagt ›gewährt‹, oder? Und jetzt Nummer drei.«
    Vor vielen Jahren hatte sich Quentin genau ausgedacht, was er sich wünschen würde, wenn er jemals die Chance erhielte. Er würde sich wünschen, nach Fillory zu reisen und für immer dort zu bleiben. Aber das war Jahre her.
    »Schick mich nach Hause«, sagte er.
    Das Suchmich-Tier schloss ernsthaft seine runden braunen Augen, dann öffnete es sie wieder. Es senkte sein Geweih zu Quentin hinunter. »Gewährt«, sagte es.
     
    Quentin nahm an, er hätte sich genauer ausdrücken können. Berechtigterweise hätte ihn das Suchmich-Tier zurück nach Brooklyn, zu seinen Eltern nach Chesterton oder nach Brakebills schicken können, sogar zu dem Haus auf dem Land. Doch der Hirsch nahm ihn beim Wort und Quentin tauchte vor seinem letzten einigermaßen festen Wohnsitz auf, dem Apartmenthaus in Tribeca, wo er mit Alice zusammengelebt hatte. Niemand nahm Notiz davon, dass er plötzlich an einem späten, frühsommerlichen Vormittag auf dem Bürgersteig erschien. Rasch wandte er sich ab und ging fort. Er brachte es nicht einmal fertig, ihren früheren Hauseingang anzusehen. Seinen Bogen und die Pfeile warf er in einen Mülleimer.
    Es war ein Schock, auf einmal wieder so dicht von so vielen seiner Mitmenschen umgeben zu

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