Fillory - Die Zauberer
alt war wie er, und erhielt ab dann ein Gehalt, Betriebsrente, freie Heilfürsorge und sechs Wochen Urlaub im Jahr. Als Gegenleistung schien er nichts weiter zu tun, als Computerspiele auf dem ultraflachen Breitbildmonitor zu spielen, den der scheidende Vize hinterlassen hatte.
Dennoch weckte Quentin bei seinen Kollegen keinerlei Ressentiments oder auch nur besondere Neugier. Jeder dachte, ein anderer wüsste sicherlich über ihn Bescheid, und wenn sich herausstellte, dass das nicht der Fall war, schien sonnenklar, dass jemand drüben in der Verwaltung die entscheidenden Informationen besaß. Jedenfalls waren sich alle sicher, dass er ein Superstar an einer europäischen Eliteschule gewesen war und mehrere Fremdsprachen fließend beherrschte. Ein Mathematikgenie war er noch dazu. Kurzum: ein echter Gewinn für die Firma. Ein echter Gewinn!
Außerdem war er ganz nett, wenn auch ein wenig trübselig. Er schien smart zu sein. Zumindest sah er smart aus. Und sowieso war er ein Mitglied des PlaxCo Beraterteams, und hier in der Unternehmensberatung Grunnings Hunsucker Swann hatte Teamarbeit oberste Priorität.
Dekan Fogg hatte Quentin von diesem Schritt abgeraten. Er solle sich mehr Zeit lassen, noch einmal darüber nachdenken, sich vielleicht einer Therapie unterziehen. Aber Quentin hatte sich genug Zeit gelassen. Von der magischen Welt hatte er für den Rest seines Lebens genug gesehen, und nun errichtete er eine Barriere zwischen ihr und sich, die keine Magie überwinden konnte. Er schnitt diesen Teil von sich ab und tötete ihn. Fogg hatte letztendlich recht gehabt, auch wenn er selbst nicht den Mut besaß, die Konsequenzen aus seiner Erkenntnis zu ziehen: Die Menschen waren ohne Magie besser dran. Sie sollten in der wirklichen Welt leben und lernen, so damit zurechtzukommen, wie sie war. Es mochte einige Wenige geben, die mit der Macht eines Magiers umgehen konnten und diese Gabe verdienten, aber Quentin gehörte nicht dazu. Es wurde Zeit für ihn, erwachsen zu werden und sich mit den Tatsachen abzufinden.
Also beschaffte ihm Fogg einen Schreibtischjob in einer Firma, in der riesige Summen an Zauberervermögen investiert waren, und Quentin fuhr U-Bahn, nahm den Aufzug und bestellte Mittagessen wie alle anderen Menschen auch, oder jedenfalls die privilegiertesten 0,1 Prozent von ihnen. Seine Neugier hinsichtlich unsichtbarer Königreiche war mehr als befriedigt worden, vielen herzlichen Dank. Wenigstens seine Eltern waren hocherfreut. Es war eine Erleichterung, ihnen erzählen zu können, womit er sein Geld verdiente und sie nicht anlügen zu müssen.
Grunnings Hunsucker Swann bot Quentin absolut alles, was er sich erhofft hatte: zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Sein Büro war still und ruhig, mit Klimaanlage und getönten Fenstern vom Fußboden bis zur Decke. Die Ausstattung war üppig und vom Feinsten. Er erhielt sämtliche Bilanzposten, Organisationspläne und Geschäftspläne zur Einsicht, die er sich nur wünschen konnte. Ehrlich gesagt fühlte sich Quentin über diejenigen erhaben, die immer noch mit Magie herumspielten. Sie konnten sich seinetwegen sonstwas vormachen, diese selbstzufriedenen magischen Mandarine, aber er war alldem entwachsen. Er war kein Zauberer mehr, er war ein Mann, und ein Mann übernahm die Verantwortung für seine Taten. Er stand mit beiden Beinen im Leben und stellte sich dem harten Alltagskampf. Fillory? Ja, er war dort gewesen und er hatte es abgehakt. Es hatte weder ihm noch irgendjemandem sonst gutgetan. Er hatte verdammtes Glück gehabt, dass er lebend da rausgekommen war.
Jeden Morgen zog Quentin einen Anzug an und wartete kurz darauf auf einem alten, erhöhten Bahnsteig in Brooklyn. Roher Beton mit Rostflecken von den Enden des eingegossenen Stahls. Vom oberen Ende der Stadt aus konnte er geradeso die winzige, dunstige, grün patinierte Spitze der Freiheitsstatue draußen in der Bucht erkennen. Im Sommer schwitzten die dicken Holzschwellen aromatische Perlen von flüssigem schwarzen Teer aus. Unsichtbare Signale bewegten die Gleise so, dass sie die Züge nach rechts und links leiteten, als ob (nur als ob, natürlich) sie von unsichtbaren Händen gelenkt würden. In der Nähe kreisten undefinierbare Vögel über einem verdreckten Müllcontainer.
Jeden Morgen, wenn der Zug eintraf, war er voller junger russischer Frauen, die aus Brighton Beach kamen. Sie schliefen noch zu Dreivierteln und folgten synchron den Schwankungen der Bahn, ihre glänzenden schwarzen Haare
Weitere Kostenlose Bücher