Fillory - Die Zauberer
Fillory-Bücher in der Grundschule gelesen. Doch im Gegensatz zu den anderen – darunter James und Julia – hatte er sie nie hinter sich gelassen. Er versetzte sich immer dann nach Fillory, wenn er die wirkliche Welt nicht ertragen konnte. (Die Fillory-Bücher trösteten ihn einerseits darüber hinweg, dass Julia ihn nicht liebte, waren aber andererseits wahrscheinlich einer der Hauptgründe dafür.) Und tatsächlich müffelten sie ein wenig nach alten englischen Kinderzimmern, und so schämte er sich auch insgeheim, wenn er zu dem Kapitel mit dem Kuschelpferd kam, einer riesigen, sanftmütigen pferdartigen Kreatur, die nachts auf Samthufen durch Fillory trabte und deren Rücken so breit war, dass man darauf schlafen konnte.
Fillory verkörperte damit etwas, das verführerisch und zugleich in gewisser Weise gefährlich war und das Quentin einfach nicht aufgeben konnte. Es schien, als handelten die Fillory-Bände – besonders der erste, Die Welt in den Wänden – vom Lesen an sich. Wenn der älteste Chatwin, der melancholische Martin, den Kasten der großen Standuhr öffnete, die am Ende eines dunklen, schmalen, abgelegenen Flures im Haus seines Onkels aufragte und hinüber nach Fillory schlüpfte (Quentin stellte sich jedes Mal vor, wie er ungeschickt das Pendel beiseiteschob wie das Zäpfchen eines riesigen Rachens), war es, als öffne er den Deckel eines Buches. Eines Buches, das erfüllte, was Bücher immer versprachen, aber nie wirklich hielten: ihn zu entführen, wirklich fortzureißen von dort, wo er sich befand, hin zu einem besseren Ort.
Das Land, das Martin in den Wänden des Hauses seines Onkels entdeckte, war eine Welt in magischem Zwielicht, eine kontrastreiche schwarz-weiß-kahle Landschaft wie aus einem Bilderbuch, mit stachligen Stoppelfeldern und Hügeln mit alten Steinmauern. In Fillory ereignete sich jeden Mittag eine Sonnenfinsternis und die Jahreszeiten konnten hundert Jahre andauern. Kahle Bäume ragten in den Himmel und blassgrüne Meere schwappten an schmale weiße Strände aus Muschelsand. In Fillory besaß alles eine tiefere Bedeutung als in der Wirklichkeit. In Fillory empfand man jeweils die Gefühle, die wirklich zu einer Situation passten. Glück war etwas Greifbares, Wahres, Erreichbares, Mögliches. Es kam, wenn man es rief. Oder besser: Es verließ einen erst gar nicht.
Sie hatten das Haus erreicht und hielten inne. Die Gegend hier mit ihren breiten Bürgersteigen und baumbestandenen Vorgärten wirkte gepflegt. Das Backsteingebäude war das einzige freistehende Haus weit und breit in diesem Viertel, das aus Reihenhäusern mit Sandsteinfronten bestand. Aufgrund seiner Rolle in der blutigen Schlacht von Brooklyn hatte es bescheidene Berühmtheit erworben. Ein wenig vorwurfsvoll schien es auf die Autos, Laternen und umliegenden Häuser zu blicken, in Erinnerung an seine glanzvollen niederländischen Zeiten.
Wäre dies ein Fillory-Roman gewesen – dachte Quentin erneut –, hätte das Haus eine Geheimtür zu einer anderen Welt besessen. Der alte Mann, der es bewohnte, wäre freundlich und exzentrisch und würde seltsame Anspielungen fallenlassen. Kaum würde er Quentin den Rücken zukehren, würde dieser über einen geheimnisvollen Schrank oder einen verzauberten Serviertisch oder irgendetwas Ähnliches stolpern, durch das er mit leichter Verwunderung auf die makellosen Hügel einer anderen Welt blicken konnte.
Doch dies war kein Fillory-Roman.
»Na dann«, sagte Julia. »Zeigt’s ihnen!«
Sie trug einen blauen Sergemantel mit einem runden Kragen, in dem sie aussah wie ein französisches Schulmädchen.
»Vielleicht bis nachher in der Bibliothek.«
»Viel Glück!«
Sie stießen mit den Fäusten aneinander. Verlegen senkte Julia den Blick. Sie kannte Quentins Gefühle für sie, und er wusste, dass sie sie kannte. Sie brauchten kein Wort darüber zu verlieren. Er wartete, vorgeblich fasziniert von einem parkenden Auto, während sie James zum Abschied küsste. Sie imitierte voll Ironie die Pose eines altmodischen Starlets, indem sie eine Hand auf seine Brust legte und den Unterschenkel hochwarf. Dann gingen er und James über den Steinfliesenweg zum Eingang.
James legte Quentin unterwegs den Arm um die Schultern.
»Ich weiß, was du denkst, Quentin«, sagte er rau. Quentin war der Größere, aber James war breiter und kräftiger gebaut. Er brachte Quentin aus dem Gleichgewicht. »Du glaubst, niemand versteht dich. Aber ich verstehe dich.« Er drückte Quentins
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