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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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zögerte. Er musste falsch verstanden haben, worum es in ihrem Gespräch ging. Er stand auf, was er eigentlich längst hätte getan haben sollen, als sie auf ihn zukam. Er überragte sie um einiges. Selbst unter den gegebenen Umständen, dachte er, tritt sie ganz schön forsch auf für eine Sanitäterin. Schließlich ist sie nicht einmal Ärztin. Er wollte schon einen Blick auf ihre Brust werfen, auf der Suche nach einem Namensschild, unterließ es aber, damit sie ihn nicht dabei erwischte, wie er ihren Busen anstarrte.
    »Ich trauere auch nicht um ihn persönlich«, erwiderte Quentin nach einiger Überlegung, »aber ich empfinde eine gewisse Achtung vor dem menschlichen Leben im Allgemeinen. Obwohl ich ihn nicht kannte, kann ich daher sagen, dass mir sein Tod leid tut.«
    »Und wenn er ein schlechter Mensch war? Beispielsweise ein Pädophiler.«
    Sie hatte ihn belauscht.
    »Kann sein. Vielleicht war er aber auch nett. Vielleicht sogar ein großer Wohltäter.«
    »Kann sein.«
    »Sie haben wohl oft mit Verstorbenen zu tun?« Aus dem Augenwinkel heraus erkannte Quentin flüchtig, dass James mit erstauntem Gesichtsausdruck die Konversation verfolgte.
    »Na ja, im Grunde sind wir eher dazu da, die Menschen am Leben zu erhalten. Behauptet man jedenfalls.«
    »Bestimmt ein schwerer Beruf.«
    »Schon, aber die Toten sind die einfacheren Patienten.«
    »Ruhiger.«
    »Genau.«
    Der Ausdruck in ihren Augen passte nicht so recht zu ihren Worten. Sie musterte ihn.
    »Quentin?«, mischte sich James ein. »Lass uns jetzt lieber gehen.«
    »Warum haben Sie es denn so eilig?«, fragte die Frau. Sie sah Quentin unverwandt in die Augen. Im Gegensatz zu den meisten anderen schien sie sich mehr für ihn als für James zu interessieren. »Warten Sie einen Augenblick, ich glaube, der Mann hat etwas für Sie hinterlassen.«
    Sie nahm zwei große braune Umschläge von einem Marmorbeistelltisch. Quentin runzelte die Stirn.
    »Ich glaube nicht, dass die für uns sind.«
    »Lass uns jetzt lieber gehen«, sagte James.
    »Sie wiederholen sich«, bemerkte die Sanitäterin.
    James öffnete die Haustür. Die eisige Luft wirkte wie ein heilsamer Schock. Sie fühlte sich so normal an. Das war es, was Quentin brauchte: gewöhnliche Normalität. Und nicht dieses … was immer es sein mochte.
    »Nein, im Ernst«, beharrte die Frau. »Ich glaube, Sie sollten sie an sich nehmen. Es könnte wichtig sein.«
    Immer noch sah sie Quentin ins Gesicht. Alle Geräusche um sie herum waren verstummt. Durch die offene Tür pfiff der kalte Wind, und allmählich wurde es auch feucht. Und nur wenige Schritte von ihnen entfernt lag eine Leiche.
    »So, jetzt müssen wir aber wirklich gehen«, drängte James. »Vielen Dank. Ich bin sicher, Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht stand.«
    Die dunklen Haare der hübschen Sanitäterin waren rechts und links zu dicken Zöpfen geflochten. Sie trug einen glänzenden gelben Emailring und eine originelle antike Armbanduhr aus Silber. Ihre Nase und ihr Kinn waren zart und spitz. Sie war ein blasser, dünner, schöner Todesengel, und sie hielt zwei braune Umschläge in der Hand, auf der mit Textmarker in Druckbuchstaben ihre Namen standen. Möglicherweise Kopien, persönliche Empfehlungen. Aus irgendeinem Grund, vielleicht nur, weil er wusste, dass James es nicht tun würde, nahm Quentin den mit seinem Namen an.
    »Na schön! Auf Wiedersehen!«, trällerte die Sanitäterin, machte rasch kehrt, ging ins Haus zurück und schloss die Tür. Sie blieben allein auf der Eingangstreppe zurück.
    »Okay«, sagte James, atmete durch die Nase ein und anschließend kräftig wieder aus.
    Quentin nickte, als stimme er irgendetwas zu, das James gesagt hatte. Langsam kehrten sie über den Plattenweg zum Bürgersteig zurück. Quentin fühlte sich immer noch ein wenig benommen und hatte keine große Lust, mit James zu reden.
    »Hör mal«, begann James. »Du hättest den Umschlag vielleicht lieber nicht annehmen sollen.«
    »Ich weiß«, antwortete Quentin.
    »Du könntest ihn immer noch zurückbringen. Ich meine, stell dir vor, jemand erfährt davon?«
    »Wie sollte es jemand herausfinden?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wer weiß, was drinsteckt? Es könnte nützlich sein.«
    »Ach so! Dann haben wir also Glück gehabt, dass der Kerl gestorben ist!«, erwiderte James gereizt.
    Sie gingen bis zum Ende des Blocks, ohne ein weiteres Wort miteinander zu reden. Jeder war sauer auf den anderen, ohne es zugeben zu wollen. Der nasse Bürgersteig war

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