Film ab im Internat
wirft sich die Fünftklässlerin auf den Stuhl, nicht, ohne ihr einen finsteren Blick zugeworfen zu haben.
Carlotta hebt eine Augenbraue. „Du bist ganz schön frech! Hat dir das schon mal jemand gesagt?“
„Andauernd, ey“, sagt das Mädchen und lässt noch eine rosa Blase knallen. „Hast du ’n Problem damit?“
Carlotta schüttelt den Kopf und schultert ihren Rucksack. Als sie in der Fünften und neu im Internat war, war sie nicht so unverschämt.
„Ciao, Carlotta“, sagt Niko, ohne aufzuschauen. „Mach dir nichts draus. Das ist die Jugend von heute.“
Carlotta muss lachen.
„Stimmt“, sagt sie und nach kurzem Zögern: „Ciao, Niko.“
Endlich hebt er den Kopf und schaut sie an. Mit schwarzen Samtaugen und einem kleinen Lächeln.
Carlottas Herz klopft, als sie sich umwendet und geht.
Draußen vor der Bibliothek bleibt sie erst einmal stehen und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Wand.
„Mannomann“, murmelt sie. „Was war das denn?“
Sie hat das Gefühl, als schwirrten in ihrem Kopf sämtliche Gedanken vollkommen chaotisch durcheinander. Wenn Katie hier wäre, würde sie garantiert behaupten, ich wäre verknallt, denkt sie und grinst. Gut, dass sie nicht hier ist.
Sie schüttelt den Kopf, stößt sich von der Wand ab und geht weiter. In ihrem Bauch kribbelt es, als hätte sie viele kleine kichernde Schmetterlinge darin. In ihren Mundwinkeln zuckt ein Lächeln. Es ist einfach da und lässt sich nicht abstellen. Alles in allem fühlt es sich ziemlich gut an, registriert Carlotta. Was immer es ist.
„Übrigens … es ist Freitag.“ Manu holt tief Luft. „Du hast gesagt, dass du uns spätestens heute Bescheid sagst!“
„Bescheid“, murmelt Carlotta abwesend. Sie liegt bäuchlings auf ihrem zerwühlten Bett und liest in einem Vampir-Roman, den sie in der Schlossbibliothek aufgestöbert hat. Die Geschichte ist so düster und gruselig, dass sie froh ist, dass es draußen noch hell ist. Gerade schlägt der fiese Beißer seine Zähne in den schneeweißen Hals einer unbekannten Schönen – und ausgerechnet jetzt kommt Manu mit ihrem blöden Casting-Genörgele an!
„Also, Carlotta“, meldet sich Sofie aus ihrer Ecke des Zimmers, „so langsam finde ich es nicht mehr normal, wie lange du zum Nachdenken brauchst!“
„Ich bin eben nicht so spontan wie ihr!“ Carlotta blättert um.
Manu und Sofie gucken sich an.
Als es an der Tür klopft, ruft Manu: „Herein!“
Frau Heselein steckt ihren Kopf ins Zimmer.
Carlotta klappt ihr Buch zu. Anscheinend haben es heute alle darauf abgesehen, sie beim Lesen zu stören. Dabei ist Freitagabend. Normalerweise die beste Zeit, um es sich mit einem Buch gemütlich zu machen – wenn man nicht gerade im Internatskino, in der Unterstufendisko oder sonst wo ist. In Sachen Freizeitgestaltung hat Prinzensee einiges zu bieten.
Außer Ruhe, denkt Carlotta grimmig. Irgendwie ist man in diesem Internat nie wirklich allein! Sie ist nun schon das dritte Jahr in Prinzensee, aber daran hat sie sich immer noch nicht gewöhnt.
Nach der Trennung ihrer Eltern musste ihr Vater beruflich für ein Jahr auf Weltreise gehen, und das Internat war ursprünglich nur als vorübergehende Notlösung gedacht. Doch inzwischen ist es für Carlotta ganz normal, in einer internationalen Schule zu wohnen, weit weg von zu Hause – auch wenn sie es sich zuerst überhaupt nicht vorstellen konnte, unter so vielen fremden Mitschülern und Lehrern zu leben. Es hatte Streit, Spannungen, Heimweh und Tränen gegeben. Und obwohl sie sich inzwischen pudelwohl fühlt, fragt sie sich hin und wieder, wie anders ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie nicht nach Prinzensee gegangen, sondern stattdessen zu ihrer Mutter gezogen wäre, nachdem die wieder geheiratet und die Zwillinge bekommen hatte.
Dann hätte ich jetzt zwar meine Ruhe, denkt sie, aber ich wäre nicht mit Manu und Sofie befreundet. Und Jonas, Brendan und Niko hätte ich auch nicht getroffen.
Sie überlegt, ob sie sich mit ihrem Buch nicht lieber in die Bibliothek verziehen sollte. Die ist um diese Zeit garantiert ausgestorben.
Bei dem Wort ,ausgestorben‘ kriecht ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Die Idee, in der großen, leeren und abends ziemlich düsteren Schlossbücherei ausgerechnet einen Vampir-Roman zu lesen, ist vielleicht doch nicht so prickelnd. Einer Sage nach soll es im Schloss zwar keine Vampire geben, aber gewaltig spuken. Die Seelen zweier ertrunkener Prinzen und einer wunderschönen Maid, die in
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