Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
etwas Glück sind sie noch 100 Meter entfernt …
Ich renne los und bin in Sekunden auf der Kaiserstraße in Richtung Hauptbahnhof. Wie ein rettender Hafen erhebt sich das Gebäude in die Nacht. Sprinte über einen Zebrastreifen, ein Taxi rast auf mich zu, ich weiche halsbrecherisch aus und wechsle die Straßenseite. Knapp an einer Baustelle vorbei, ich streife das Gerüst. Höre die Bullensirene in die Kaiserstraße einbiegen und mir folgen. Rauchende Nutten in Pornostiefeln zetern, als ich sie umrenne. Die Bedienung eines Cafés mit vollem Tablett voller Bier verfehle ich nur knapp. Aus einem Ramschladen kommen zwei Penner, die mir nachschauen wie einem rasenden Marsmännchen. Die Sirene wird immer lauter. Pralle in eine Gruppe besoffener Russen und reiße einen davon um. Rapple mich auf und hetze weiter. Die Besoffskis maulen lauthals und werfen mir eine halbvolle Wodkaflasche hinterher, die vor mir aufschlägt und platzt.
„Жопа!“
Ich kann kein Russisch.
Meine Ohren melden mir, dass die Bullen immer näher kommen. Auf der Kaiserstraße ist an diesem Abend nicht viel los, sie können richtig Gas geben.
Jetzt habe ich einen Bullen direkt hinter mir, der sportlich zu sein scheint. Eine Kopftuchoma auf 12 Uhr taucht in meinem Blickfeld auf, an einem Baum sitzend,
Starbucks
-Becher in der Hand. Kaffee bei
Starbucks
ist hoffnungslos überteuert, ihre Geschäfte scheinen ja gut zu laufen. Ich springe aus vollem Lauf über die zusammengekauerte Gestalt, touchiere den Baum leicht mit der Schulter, komme ins Straucheln und fange mich wieder. Hinter mir kracht es, der Bulle knallt volle Möhre in die Oma, ich sehe Münzen auf den Asphalt und zwei Luxuskarossen in der Nähe regnen. Männer brüllen, Frauen schreien und ich habe plötzlich wieder einen Vorsprung — danke, Kopftuchoma!
Ich springe auf den Handlauf der Rolltreppe und rutsche sitzend in den Hauptbahnhof, lande schmerzhaft mit dem Arsch auf dem Boden und schlittere auf dem Hosenboden mit meinem Gesicht zwischen die Beine einer älteren Dame. Hinter mir glaube ich meinen Verfolger zu hören, nur mit Mühe kann ich mich aus dem Schritt der Seniorin befreien und Richtung S-Bahn flüchten. Betrunkene, Fixer und Reisende schauen mir tatenlos nach, keiner versucht mich aufzuhalten. In Frankfurt sind die Leute froh, wenn sie selbst keinen Ärger haben.
Ich renne endlose Treppen hinunter, nehme immer drei Stufen auf einmal. Nur ein Fehler, ein Abrutschen — und der Käse wäre gegessen. Ich höre meinen Verfolger hinter mir und fast schon die Handschellen klicken. Das könnte verdammt knapp werden!
Von unten kommt mir ein Pärchen entgegen. Sehen beide recht sportlich aus. Verweigern ja auch die Rolltreppe nach oben, also kein Wunder. Während ich weiter wie ein Bekloppter Stufen fresse, scanne ich routinemäßig das Gesicht der Frau. Dieser Trieb lässt sich wohl nie abstellen. Leider keine besonders gute Entscheidung: Es schlägt ein wie der Blitz, als ich meine Ex-Freundin plus Timmy am Patschehändchen erkenne.
Wir sind uns seit Hirschhausen nicht mehr über den Weg gelaufen. Ich hatte gehofft, ihr Gesicht nie wieder sehen zu müssen. Gut sieht sie aus, verdammt gut. Mir ein bisschen zu gut, um ehrlich zu sein. Die Haare profimäßig blondiert wie eh und je, die Klamotten stilvoll und sexy zugleich und das Gesicht frisch und rosig wie ein Morgen im April. Sie scheint regelmäßig guten Sex zu haben, das kann man ihr ansehen. Er ist der gleiche teigige Knilch wie früher.
Sofort ist eine gute alte Bekannte zur Stelle — die Eifersucht, grüner als das Innere meines Wasserkochers.
Nach der Eifersucht kommt die Panik und ich reiße die Augen auf, obwohl ich in dieser Situation cool bleiben wollte. Hatte ich mir jedenfalls immer vorgenommen. Tausendmal hatte ich dieses Szenario im Kopf durchgespielt. Okay, dass ich meine Ex auf der Flucht vor den Bullen nach einem Fünffachmord wieder sehen würde, konnte nun wirklich keiner ahnen. Plötzlich habe ich mehr Angst vor der Begegnung mit ihr als vor meinen Verfolgern.
Dementsprechend schnell ist es mit meiner Coolness vorbei: Ich komme aus dem Tritt, knicke mit dem linken Fuß um, unterdrücke einen Schrei und stolpere wie
Butler James
in
Dinner For One
. Versuche mich mit rechts abzufangen, rutsche dann aber von einer Stufe unplanmäßig auf die andere, verliere das Gleichgewicht und den Kontakt zur Treppe. Wie ein Weitspringer hebe ich ab, gerate in die
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