Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
Chains — God Smack)
Heroin erscheint mir als perfekte Methode, um Selbstmord zu begehen. Wenn man an seinem Leben hängt und Zukunftspläne hat, sollte man das Fixen nicht unbedingt anfangen. Falls das aber nicht der Fall sein sollte, hat man beim Abflug zumindest einen fantastischen Rausch. Und das Beste: Den Übergang bekommt man gar nicht so richtig mit.
Heroin kenne ich bisher nur geschluckt, als Bestandteil von Ecstasy-Pillen. Gefällt mir wenig bis gar nicht, habe mich meistens sogar unwohl dabei gefühlt. Soll aber mit gespritztem Heroin überhaupt nicht vergleichbar sein.
Den echten Heroinrausch kenne ich nur vom Hörensagen: Schnell eintretende, einige Minuten anhaltende unfassbare Euphorie. H passiert aufgrund seiner Fettlöslichkeit die Blut-Hirn-Schranke extrem schnell, so dass es zu einer schlagartigen Anflutung des Wirkstoffes im Gehirn kommt. Die Folge soll ein wahnsinniger Kick sein. Im Anschluss soll ein Zustand allgemeiner Glückseligkeit und Gleichgültigkeit folgen.
♫
„Everybody’s talking about heroin dreams
What the fuck you’re gonna do with the rest of your life?“
(Life Of Agony — Heroin Dreams)
Es wird hell. Ich war schon lange nicht mehr hier. Der kleine Main-Hafen sieht immer noch genau so aus wie damals: total verschlafen.
Ich würge den Motor ab und steige aus ohne abzuschließen — so wie die das in den coolen Filmen immer machen. In der Hand eine Tüte voller Heroin und allen Utensilien, die man zum Spritzen braucht.
Mein Kreislauf wird schwächer, der Blutverlust scheint sich bemerkbar zu machen.
Das verlotterte Ruderboot eines alten Kumpels muss hier doch irgendwo rumdümpeln …
Da ist es, es scheint noch seetüchtig zu sein. Leinen los, mein Kollege möge mir verzeihen — konnte ihn schließlich schlecht um Erlaubnis bitten, mir auf seiner Nussschale den goldenen Schuss setzen zu dürfen.
Ich rudere mit
iPod
-Stöpseln im Ohr in die Morgensonne und muss an
Stefans
kleine Schwester in
Lammbock
und ihren Vortrag über die Art der Selbsttötung ihrer Wahl denken:
„… dann bin ich sofort weg. Irgendwo in der Südsee. Dann kauf ich mir ne Luftmatratze und zwei Flaschen Rum und dann paddle ich ganz weit raus in den Pazifischen Ozean. Und dann sauf ich mich bewusstlos und irgendwann rutsche ich ganz von selber ins Meer. Haben die Fische was zu fressen, meine Familie kein schlechtes Gewissen und ich wenigstens einen vernünftigen Rausch.“
Ich beginne mit der Vorbereitung. Wie war das noch? „Mixe das ganze Heroin mit Zitronensäure in einem Löffel und erhitze es mit einem Feuerzeug, bis eine klare braune Lösung entsteht …“, hat Musti gesagt.
Ich gönne mir eine vierfache Portion, das dürfte reichen.
Am Ende ist alles okay — wenn nicht alles okay ist, ist es nicht das Ende, denke ich. Ich fühle mich schläfrig und total friedlich. Es ist alles okay. Jedenfalls so okay, wie es sein kann.
Ich bewundere mich selbst beim Vorbereiten der Spritze, sieht fast schon profimäßig aus. Ich war jetzt tagelang clean, sogar trocken. Das hier ist nicht wie Drogennehmen früher war. Drogennehmen war früher just for fun. Das hier ist kein Spaß mehr, das hier ist ernst. Aber ein Ernst, der gleichzeitig Spaß macht. Und darum geht es ja …
Das Höllenteil ist fertig. Ich atme durch, drücke die Kanüle in die Haut und die Spritze ab. Niemand hindert mich daran — der Moment scheint also tatsächlich gekommen. Kein Schrei, kein Blitz, keine Gotteserscheinung, es passiert einfach nichts.
Dann breitet das Heroin seine Flügel aus.
Meine Schmerzen an der Hüfte sind augenblicklich vorbei. Ich bin leicht wie ein Zigarettenpapier im Wind, die Gesetze der Schwerkraft gelten nicht mehr. Alles, was mich unten hielt, lasse ich zurück.
Type O Negative
spielen ein letztes Mal „
Gravitational Constant“
nur für mich. Die letzte Textzeile
„Suicide Is Self Expression“
verklingt nicht mehr. Der Chor setzt ein. Ich sehe die Musik als Farben, wunderschöne warme Farben, überall. Es ist genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Ich zerfließe vor Glück. Wasser berührt meine Fingerspitzen. Meine Welt wird hell.
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