Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Alexander Bonke
Vom Netzwerk:
Horizontale und fliege quer in der Luft stehend auf die beiden zu. Die Augen meiner Ex-Freundin treten aus den Höhlen, der Schock lässt ihre Gesichtszüge entgleisen, was ihrer Attraktivität allerdings keinen Abbruch tut.
     
    Wäre ich nicht gestolpert, hätte ich mir womöglich überlegt, mich absichtlich an Timmy zu rächen. Auf einen mehr oder weniger kommt es jetzt schließlich auch nicht mehr an. Wahrscheinlich hätte mich für Sekundenbruchteile die Fantasie durchzuckt, Timmy mit einem Sprungtritt aus vollem Lauf oder zumindest einem Bodycheck die Treppen hinunter zu schicken. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn wegfliegen wie einen Luftballon …
     
    Meine Träumereien enden in dem Moment, als ich ihm mit beiden Schienbeinen die Knie wegschieße. Um Haaresbreite verfehle ich dabei meine Ex-Freundin, die sich schreiend durch einen beherzten Sprung Richtung Rolltreppe in Sicherheit bringen kann. Noch lauter schreit dann allerdings Timmy, der ohne Kniescheiben wie ein gefällter Baum über mir zusammenstürzt und mich fast unter sich begräbt. Sein massiger Körper knallt auf die Stufen, danach wimmert er nur noch leise. Fast tut er mir ein bisschen leid.
     
    „He’ll never dance again.“
    (Bucho — Desperado)
     
    Ich lande nach einigen weiteren Metern mit meiner verletzten Hüfte auf einer Kante und rutsche Stufe für Stufe abwärts, bevor ich mich aufrappeln und weiterhetzen kann.
     
    Ich höre den Bullen hinter mir auf der Treppe. Vielleicht habe ich ja Glück und er fällt nach der Kopftuchoma jetzt auch noch über Timmy.
     
    Eine S-Bahn zischt. Die letzten sieben Stufen nehme ich auf einmal, breche mir dabei nur dank meiner hohen Stiefel bei der Landung nicht den Knöchel. Ich höre Türen aufgehen, bin fast da, sehe die S6 direkt vor mir. Das warnende Piepsen ertönt. Ich riskiere einen Hechtsprung in die Bahn, direkt hinter meinen Füßen schließen die Türen. Ich pralle mit der Schulter gegen die gegenüberliegende Tür und bleibe halbtot und atemlos auf dem verdreckten Boden liegen, um nicht von den Bullen gesehen zu werden. Leider kommt mein Verfolger der startenden Bahn sehr nah und sieht mich durchs Fenster ganz genau, wie ich zwischen den anderen Fahrgästen herumkrieche. Knallrot und wütend ist er, kurz vor dem Kollaps, er zeigt mit dem Finger auf mich. Dann endlich hat der S-Bahn-Fahrer ein Einsehen und tritt aufs Gas. Ab in den Tunnel, durchschnaufen.
     
    Völlig entkräftet schaffe ich es kaum, alleine aufzustehen. Meine angestochene Hüfte spüre ich erst jetzt wieder, dafür viel schlimmer als vorher. Ich pfeife körperlich aus dem letzten Loch.
     
    Dann passiert etwas, womit ich nie gerechnet hätte: Ich bekomme Hilfe. Ein höchstens fünfzehnjähriges dunkelhaariges Mädchen fasst mich an und hilft mir hoch. Ich bin gerührt.
     
    „Danke, lieb von dir …“
     
    Sie hat traurige Augen und sagt nichts. Ich habe keine Ahnung, ob das Mädchen gesehen hat, dass ich vor der Polizei geflüchtet bin. Als ich endlich stehe, sind ihre Hände voller Blut. Wahrscheinlich ein Schock für sie, den sie sich aber nicht anmerken lässt. Sie versteckt die Hände hinter ihrem Rücken.
     
    Die anderen Leute um uns herum reagieren unterschiedlich. Einige ignorieren die ganze Szene, andere stieren böse zu mir rüber. Für sie sehe ich wahrscheinlich aus, als hätte ich gerade einen Kiosk überfallen. Kann ihre Blicke deshalb gut verstehen.
     
    Wahrscheinlich gibt es nur dank meiner schwarzen Klamotten keinen Aufruhr. Wenn die ganzen Blutflecken sichtbar wären, würde ich aussehen wie ein Metzger nach Feierabend und hier wäre vermutlich der Teufel los.
     
    Mein Puls normalisiert sich. Ich versuche, an die Wand gelehnt möglichst lässig vor mich hin zu bluten.
     
    Das Mädchen und viele andere Leute steigen an der nächsten Station aus, nur wenige steigen in die S6 ein. Nicht mal die Kleine wirft mir noch einen Blick zu.
     
    Die rote Suppe auf meinen Klamotten stinkt. Traue mich deshalb nicht, mich zu setzen, obwohl jetzt Platz ist — zur Sicherheit bleibe ich alleine zwischen den Abteilen stehen. Nur noch selten schauen Fahrgäste zu mir.
     
    Mein Blick schweift umher. Die Bahn ist in keinem besonders guten Zustand: Graffiti, Scratchings und jede Menge zwielichtige Passagiere, von denen geschätzt die Hälfte ohne Fahrschein unterwegs ist. Mich übrigens eingeschlossen. Der Sozialschlauch wird seinem Ruf wieder mal gerecht.
     
    Hauptwache — ich steige hinkend aus. Will mir

Weitere Kostenlose Bücher