Filmwissen
den Handgelenken aufgehängt, zu Tode gepeitscht, beschimpft vor dem Geliebten, durch glühende Schwerter geblendet – oder unbewegte und befriedigte Zuschauerin erbarmungsloser Verhöre und unmenschlicher Racheakte. Bekanntlich hat das einfache Volk eine Vorliebe für starke Kontraste, wo der emotionalen Spannung, provoziert durch Manifestationen der Grausamkeit, die Entspannung durch die Bestrafung des ungerechten Verfolgers gegenübersteht. Aber in den hier untersuchten Filmen hat das sadistische Element ein quantitatives Gewicht und eine Intensität, auf die die erzählende Volkskunst seit langem verzichtet zu haben scheint – speziell in Italien, wo die schaurigen und dämonischen Strömungen der Romantik wenig entwickelt waren und die Dekadenz sich eher um das Raffinement einer ganz verinnerlichten, psychologischen Grausamkeit bemühte.
Erotik und Sadismus sind indes nicht Selbstzweck, sondern verweisen auf einen allgemeineren Geschmack am Wunderbaren, in dem der eigentliche Geist zu sehen ist, aus dem die historisch-mythologischen Filme leben. Dem Zwang der exakten Beschreibung nicht untertan, zerreißt die populäre Phantasie die Fesseln der Wahrscheinlichkeit und behauptet ihre Selbstständigkeit, indem sie sich mit großem Aufwand in ein freies Abenteuer stürzt, überschwänglich im Vergnügen zu erzählen, sich darin gefallend, die eigenen Erfindungen zu multiplizieren.» (Vittorio Spinazzola)
Es ist also nur folgerichtig, dass sich der historisch-mythologische Film in der italienischen Variation des Western fortsetzte, in der der Sadismus triumphierte, so wie die Multiplikation der Erfindungen. Der Glanz freilich war einer pittoresken Schäbigkeit gewichen, psychische und physische Grausamkeit waren zueinander gefügt, und es gab keine Städte und Reiche mehr, die zu zerstören gewesen wären, nur noch Menschen. Und selbst zum neuen Horrorfilm italienischer Prägung führt eine direkte Linie vom neomythologischen Film.
Ausklang eines Genres
Wie so oft am Ende (oder vorläufigen Ende) eines Genres standen auch am Ende des neomythologischen Films in Italien ironische und parodistische Versuche, die der schon häufig aufscheinenden humoristischen Note Vorrang einräumten und die knapp zehnjährige Geschichte der Renaissance des Antikfilms in Italien auf ihre Grundelemente hin durchforsteten, um sie durch kleine Verschiebungen und Verfremdungen dem Komischen zu übereignen. Duccio Tessaris Debütfilm aus dem Jahr 1962, Arrivano i titani , gehört, wie Vittorio Spinazzola meint, zu den komischsten der italienischen Nachkriegsproduktion und fand eine Reihe von Nachfolgern.
In eine ganz andere Richtung zielten die antiken Epen aus den angelsächsischen Ländern. Da ging es um historische Authentizität, psychologische Zeichnung der Protagonisten und nicht zuletzt um gigantischen Aufwand und Stars. Markantestes Beispiel hierfür ist wohl Cleopatra ( Cleopatra ; 1962, Regie: Joseph L. Mankiewicz) mit Elizabeth Taylor in der Titelrolle, Richard Burton als Mark Anton und Rex Harrison als Julius Caesar. Von seiner Produktionsgeschichte her ist Cleopatra ein Höhepunkt der Studio-Gigantomanie und des Star-Rummels, und zugleich schon ein wenig eine (unfreiwillige) Parodie darauf. Er ist
«eine opulente und spektakuläre Darstellung des Lebens Cleopatras, die nahezu alles einschließt, was über sie überliefert und als ihre Biografie akzeptiert ist. Der Film ist seiner wandlungsreichen Produktionsgeschichte wegen bemerkenswert. Die Aufnahmearbeiten dauerten über vier Jahre und kosteten etwa 40 Millionen Dollar. Zuerst sollte mit einem Budget von drei Millionen in England gedreht werden (mit Peter Finch als Caesar), aber nach sechs Monaten wurde wegen diverser Schwierigkeiten, darunter Elizabeth Taylors Krankheit, die Arbeit eingestellt. Der Regisseur Rouben Mamoulian gab die Regie ab an Joseph L. Mankiewicz, der das Drehbuch überarbeitete und es auch bei den folgenden Dreharbeiten in Rom fast täglich revidierte. Der Film machte Skandalgeschichte, als Taylors Verhältnis mit Richard Burton bekannt wurde. Durch die steigenden Kosten wurde Cleopatra zum teuersten Werk der Filmgeschichte. Obwohl gegen Ende 1968 der Film 26 Millionen Dollar eingebracht hatte, die ihn auf die Liste der meistverdienenden Filme setzten, war er doch keineswegs profitabel. Der Verlust kam zu einem ohnehin kritischen Zeitpunkt für die Twentieth Century-Fox, ruinierte sie fast und führte zum Rücktritt ihres Präsidenten Spyros
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