Filmwissen
ambivalent wie ihre eigenen Gefühle erleben die Kinder die Piraten, voran den Kapitän Chavez (Anthony Quinn), der so brutal sein kann und der sich doch rührend um ein krankes Mädchen bemüht, und den Ersten Maat Zac (James Coburn), ein fernes Echo des «lachenden Abenteurers». Die Piraten werden, nicht zuletzt wegen dieser Kinder, von der englischen Marine gejagt, und auch in dieser Konfrontation ist es für die Kinder nicht unbedingt leicht auszumachen, auf welcher Seite ihre Sympathien eigentlich liegen. Diesem doch recht komplexen emotionalen Widerspruch kann der Film nicht völlig gerecht werden. Der Spiegel notierte seinerzeit kalauern:
«Es gelang dem Regisseur nicht, das Wechselspiel zwischen den auf der Reise von Jamaika nach London gekidnappten Kindern und ihren Entführern, einer wilden Piratenhorde, auch nur hinlänglich zu dramatisieren. Zwar bringt das Kleinmädchen Emily (Deborah Baxter) den Seeräuberhauptmann um Mannschaft, Schiff, Kopf und Kragen, aber der Käptn freut sich darüber nur: der Umgang mit den Kindern hat aus ihm einen guten Menschen von See, zu Anfällen von Selbstgerechtigkeit neigend, gemacht.»
Und noch einmal spielte Anthony Quinn einen «problematischen» Piraten. L’Avventuriero ( Ich komme vom Ende der Welt ; 1967, Regie: Terence Young) entstand nach einem Roman von Joseph Conrad ( The Rover , deutsch: Der Freibeuter ). Es ist die Geschichte einer missglückten Piraten-Heimkehr. Der Korsar Peyrol (Quinn) kommt nach vierzig Jahren Abenteuer auf See in seine Heimat zurück, wo just die Französische Revolution ihre Spuren hinterlassen hat, England eine Blockade versucht und Napoleon sich anschickt, Ägypten zu erobern. In dieser neuen Welt findet sich Peyrol nicht mehr zurecht. Verstört und von der politischen Polizei verfolgt, gelangt er an die Stätte seiner Kindheit. Am Strand trifft er auf das Mädchen Arlette (Rosanna Schiaffino), das unter einem schweren Kindheitstrauma leidet. Im Haus ihrer Tante (Rita Hayworth) findet Peyrol Zuflucht. Peyrol liebt das Mädchen, das er vor einer Vergewaltigung gerettet und damit auch von seinem Trauma befreit hat, aber Arlette liebt ihrerseits einen jungen Offizier, der den ehemaligen Piraten schließlich dazu überreden will, gefälschte Geheimdokumente in die Hände der Engländer zu spielen, um diese auf eine falsche Fährte zu locken. Peyrol aber kann dieses Spiel nicht mitmachen; er sucht die Freiheit und vielleicht den Tod. Allein segelt er mit einem Schiff, das er selbst zuvor wieder instand gesetzt hat, aufs offene Meer hinaus, wo er, von den Kanonen der Engländer getroffen, den Tod auf dem Meeresgrund findet. «Ein Schiff ist ein würdiger Sarg für einen Mann – und bei Gott, er war ein Mann», sagt der englische Kapitän.
Young erzählt:
« Es galt ganz einfach, die erzählerische Schönheit Conrads in optische Schönheit zu übersetzen, den Hauch des Verderbens, der über seinen Gestalten liegt, einzufangen und – ohne zu übertreiben – die psychologische Tiefe nicht zu scheuen .»
Noch weit mehr als The Buccaneer ist L’Avventuriero ein «Spät-Piratenfilm», denn es sind hier nicht allein die «Regeln» des Genres, die nicht recht greifen wollen, sondern es ist der Held selber, der aus der Welt muss, weil er die Regeln nicht verletzt. Sicher erreicht der Film nur selten die angestrebte psychologische Tiefe, und ob sich jener «Hauch des Verderbens» ganz einfach durch dunkle Farben vermitteln lässt, ist auch nicht gewiss, aber in manchen Augenblicken trifft Youngs Film doch die Verbindung von Melancholie und Abenteuer, die für Conrads Werk, auf ganz andere Art freilich auch für die Zeitstimmung der Endsechziger bezeichnend war.
Auch Yul Brynner kehrte noch einmal ins Piratenfach zurück für seine Darstellung eines durch und durch bösen Piraten in der Jules Verne-Verfilmung The Light at the Edge of the World ( Das Licht am Ende der Welt ; 1971, Regie: Kevin Billington). In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts wird am Kap Hoorn ein neuer Leuchtturm eingeweiht, in dem drei Männer Tag und Nacht Dienst tun sollen. Eines Tages fährt ein Schoner vorbei, der plötzlich SOS-Signale sendet. Zwei von der Leuchtturmmannschaft fahren mit einem Rettungsboot hinaus zu dem Schiff, der zurückgebliebene Denton (Kirk Douglas) jedoch muss mit ansehen, wie sie von den Männern auf dem Schiff, bei denen es sich offensichtlich um Piraten handelt, ermordet werden. Die Freibeuter wollen sich des Leuchtturms bemächtigen,
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