Filmwissen
Produktionsbedingungen beim Fernsehen wirken auf die Arbeit im Filmbusiness zurück. Handwerksroutine und Handwerksgeist sterben mit den Alten, die ‹von der Pike auf lernten › , aus. Wer beim Fernsehen ‹von der Pike auf gelernt› hat, hat meist nichts gelernt, denn als fester oder ‹freier› Angestellter mit einem Verwaltungsapparat auszukommen – Ideen durchzusetzen, nicht Arbeit .
g) In dem Augenblick, wo in Hollywood die fabrikmäßige Produktion zum Erliegen kam, weil das Kino in Konkurrenz zum Fernsehen schrittweise dessen Produktionsweisen sich aneignete (Fabrik Apparat, Geld Kapital, Firmen Banken, Bosse Verwalter, Verantwortungen Richtlinien, Produktion für den Markt Produktion per se …), starb auch der gesamte Genrefilm aus, mit Ausnahme der populärsten, am billigsten herzustellenden und die stärksten Gegenwartsbezüge aufweisenden: das heißt Western und ‹Krimi › , letzteres eine zunächst eher fernsehspezifische, dann auch vom Kino übernommene Mixtur aus Gangsterfilm, Polizeifilm, Detektivfilm, Spionagefilm usw. Das Musical wurde zur ‹live show › , der Historienfilm zur ‹Fernsehdokumentation› usw. Horrorfilm, Vampirfilm, Mantel-und-Degen-Film, die Genres, die zum ‹Krimi› wurden, und vieles andere mehr verschwanden fast völlig. Der Piratenfilm, schon für das Film-Business zu aufwändig, war es für das Fernsehen natürlich erst recht, das Farbfernsehen kam erst spät … »
In dieser Situation blieb dem Piratenfilm nur die Fortexistenz als C-Film, wie es in Europa geschehen sollte, und die weitere Geschichte «großer» Piratenfilme ist kaum etwas anderes als die Geschichte von mehr oder weniger gescheiterten Wiederbelebungsversuchen. Einen eigenen Weg wählte dabei etwa Anthony Quinns Regiedebüt The Buccaneer ( König der Freibeuter ; 1958), der am ehesten die immanente Krise des Genres spiegelt.
«Zwei Szenaristen verbrieten drei ältere Drehbücher und einen von einem anderen bearbeiteten Roman zu einem Buch, das unter der Oberaufsicht eines Altmeisters der Regie (gemeint ist Cecil B. DeMille – d. Verf.) von einem Debütanten inszeniert wurde. Das Resultat ist ein Film, in dem so viel passiert, dass darüber zwei Stunden vergehen, ehe wirklich etwas passieren könnte – und dann ist die Zeit um. Unmöglich, die Wechselfälle nachzuzeichnen, die der Film um den Piraten Jean Lafitte (Yul Brynner) binnen weniger Tage zustoßen lässt: er gewinnt eine Liebe, verliert sie und gewinnt eine andere; er muss einen unbotsamen Untergebenen hängen lassen, seine Leute aus amerikanischer Gefangenschaft holen und sie gegen die Briten führen, muss mit britischen und amerikanischen Offizieren verhandeln, wird verfemt, gefeiert und wieder gestürzt. Die rechte Sinnenlust stellt sich trotz des Millionenaufwands nur sporadisch ein: zu kurzatmig ist die Dramaturgie, und zu ungleich sind die einzelnen Szenen.» (Enno Patalas).
Es scheint, als wollten in diesem Film die Standards des Genres nicht mehr recht funktionieren, nicht nur weil die Handlung, sondern auch weil die Figuren, allen voran der Titelheld, zu kompliziert geworden sind. Immerhin bezeichnet, in der Endzeit der Entwicklung des Genres, Quinns Arbeit so etwas wie den Versuch zu einem «psychologischen Piratenfilm», und so unauflösbar der Widerspruch zwischen Psychologie und Piratentraum auch scheint, so zeigen sich hier doch neue Facetten im Wesen des Helden. Die Loyalitätsfrage ist auch für ihn nicht mehr ohne Probleme zu bewältigen; der Pirat ist hier ein Mann, der seine Situation zwischen den Fronten (in den Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten) auch mit diplomatischem Geschick nicht aufrechterhalten kann. Anders als bei allen anderen Film-Piraten vor ihm ist es vor allem Vernunft, die ihn leitet (und paradoxerweise ist es gerade Vernunft, die ihn zu den grausamsten Handlungen treibt). Als er den Kapitän, der für die Versenkung eines amerikanischen Schiffes gegen seinen strikten Befehl verantwortlich ist, hängen lässt, um seine Autorität und seine «Politik» zu retten, zieht er sich damit den Hass von dessen Tochter (Claire Bloom) zu. So kann die «Piratenhochzeit» nicht funktionieren, aber sie wird ihm auch «erscheinen», als sich Lafitte am Ziel seiner Wünsche wähnt, die Tochter des Gouverneurs zu heiraten, und diese Verbindung verhindern, indem sie seine Schuld am Tod der Schwester der Braut offenbart. Mit dem Happy-End verweigert der Film seinem Helden die mythische
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