Filou: Ein Kater sucht das Glück - Roman (German Edition)
Rufe empfingen ihn. »Hierher!«, lockte eine Kinderstimme. Filou hörte nicht hin, jagte im Zickzack zwischen den Neugierigen hindurch, sprengte über den Friedhof, raste Treppen und Gassen hinunter bis zur Rue Basse, sprang durchs Kellerfenster und kroch zitternd auf sein Weinfass.
»Luc, verzeih, ich weiß, du hast auf mich gewartet, du wirst halb verhungert sein, und ich habe auch wirklich mein Bestes gegeben, aber …«
Er riss die Augen auf. Luc war nicht da. Was für ein verdammtes Glück, dachte er und ließ den Kopf auf sein gutes altes Weinfass sinken, das ihm plötzlich wie ein weiches Himmelbett erschien. Dann schlief er ein.
Nur einmal wachte er kurz auf, als er ein Geräusch hörte. Er öffnete die Augen. Im müden Abendlicht sah er eine prächtige Katze auf dem Sims des Kellerfensters hocken, die sich mit energischen Pfotenstrichen das Gesicht putzte. Das Tier prüfte die Luft mit zitternden Barthaaren und sprang dann in elegantem Bogen auf Lucs Schlafplatz, wo es sich fallenließ und zusammenrollte.
Filou schloss die Augen wieder. Keine Katze würde es wagen, in Lucs Revier einzudringen. Obwohl sie alt und behindert war, wusste sie sich zu wehren. Er träumte. Aber es schien sich ausnahmsweise um einen angenehmen Traum zu handeln.
SIEBEN
A m Morgen hatte ihn das wirkliche Leben wieder – in Gestalt von Luc, die ihn auf ihre unübertroffen warmherzige und aufmunternde Weise weckte und an seine Pflichten erinnerte. Diesmal gab Filou nur ein Krächzen zur Antwort. Er musste sich erkältet haben, gestern im Regen. Draußen fegte ein eisig kalter Wind durch die Gassen und wehte den Geruch von Holzfeuer in ihr Verlies. Der Frühling machte Pause.
»Wehe, du hast mir die Grippe nach Hause gebracht«, brummte Luc. Sie sprang mit einer Eleganz zum Fenster hinaus, die ihn an die Erscheinung während der Nacht erinnerte, aber sein Zustand verhinderte jeden klaren Gedanken. Er ließ den schweren Kopf auf die Pfoten sinken und dämmerte weg.
Filou schlief einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Am Tag darauf war der Himmel wie leergefegt, strahlend blau und ohne auch nur ein Wölkchen am Horizont. Er schleppte sich hinaus, legte sich auf die warme Steinmauer vor den Gemüsegärten am Bach und träumte, während um ihn herum die Vögel lärmten und die Sonne sich alle Mühe gab, ihn zu wärmen. Am Abend fühlte er sich gesund, und der Frühling war zurückgekehrt.
Von nun an wurde es von Tag zu Tag wärmer. Filou erlebte den ersten Sommer seines jungen Lebens. Und trotz Luc, trotz aller Pflichten, trotz der ewigen Suche nach etwas Essbarem war es eine Lust zu leben. Er schlief nur noch unruhig und kurz, verließ vor dem ersten Morgenlicht den Keller, leckte den Tau vom duftenden Gras, rannte schlaftrunkenen Hummeln hinterher, wälzte sich in lustvollem Delirium im warmen Sand auf dem Petanqueplatz und schrubbte sich den Winter aus dem Pelz.
Alles um ihn herum tschilpte und zwitscherte, jodelte und jubilierte. Über dem Roche du Diable zogen Bussarde und Milane mit melancholischen Schreien ihre Runden. Pfeifend durchschnitten die Mauersegler die Luft, die eines schönen Tages in Geschwaderstärke und mit schrillen Schreien in Beaulieu eingefallen waren. Und über alledem lag wie ein kratziger Teppich das eintönige Sägen der Zikaden. Doch wenn er hinter der Auberge Fleuri den Hang zum Felsen hinauflief und sich ins Gras legte, konnte er all das ausblenden. Dann hörten seine feinen Ohren nur die Regenwürmer arbeiten.
War ihm vom vielen Träumen langweilig, sprang er nach Schmetterlingen, die durch das Blühen taumelten, jagte Hummeln, haschte nach Libellen. Nach einigen Wochen hatte er es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht: Er sprang und drehte sich in der Luft, segelte wie ein Flughörnchen, landete pfeilgenau wie ein Falke. Und er krümmte keinem der Tiere, nach denen er sprang, ein Härchen.
Doch all das Blühen und Tirilieren und Taumeln war nichts gegen die Gerüche! Zuerst hatte der Steinlorbeer zu blühen begonnen, mit Büscheln porzellanweißer Blüten, die nach Marzipan dufteten. Dann öffneten sich die schweren dunkelblauen Fliederdolden und verströmten einen Geruch, der seine Nase beinahe überforderte. Und endlich die ersten Rosen – jede duftete anders. Eine mit zarten rosa Blüten erinnerte ihn an Isabo, das Mädchen vom Café.
Nur Luc fand an all dem Grünen und Blühen nichts Gutes. »Diese verdammten Blütenpollen«, schimpfte sie schnupfend und schniefend und niesend. »Ich
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