Filzengraben
den Bürgerhauptmann rufen, um ihm den gewaltsamen Tod des Journalschreibers der Gazette de Cologne zu melden.
Fassbindermeister Simon Kall nahm sein Hauptmannsamt ernst. Dreimal lieà er sich Cettinis letzte Worte wiederholen. Dann bat er um Papier und Feder und begann eifrig zu schreiben. Eine solche Gelegenheit bot sich selten, hatte er es doch sonst meistens mit läppischen Diebstählen, Schlägereien unter Betrunkenen, Beleidigungen oder kratzbürstigen Weibern zu tun. Er weidete sich an den Blicken der Umstehenden, die ihm ehrfürchtig zuguckten, wie er eine Zeichnung von dem toten Körper machte und darauf die Verletzungen vermerkte. Immer wieder stand er auf und begutachtete den Leichnam von allen Seiten. Schraffierungen in der Skizze bedeuteten Hautabschürfungen, er fand sie im Gesicht und an der Schulter. Kringel standen für Prellungen, die der Schreiber an Armen und im Gesicht erlitten hatte.
»Vor allem aber im Bauchbereich«, stellte Kall fachmännisch fest, nachdem er den Frauen bedeutet hatte, sich umzudrehen, damit er die Hose des Toten aufmachen und das Hemd herausziehen konnte. Wer immer die Täter waren, sie mussten ihn mit Fäusten und Schuhen, wahrscheinlich auch mit einem Knüppel oder einem dicken Stock bearbeitet haben. Ob sie ihn gestoÃen hatten, sodass er stürzte, oder ob er selbst das Gleichgewicht verlor, das hätte Kall nicht sagen können. Seiner Meinung nach war es die Platzwunde an der rechten Schläfe, die den Tod herbeigeführt hatte. Er markierte sie auf dem Papier mit einem kurzen, breiten Strich.
»Wir sollten ihn zur Universität bringen. Wenn sie ihn dort sezieren, finden sie vielleicht heraus, woran er gestorben ist, an der Wunde am Kopf oder wegen der StöÃe in Bauch und Magen. Wir würden damit der Wissenschaft einen Dienst leisten.«
Seine Augen leuchteten, als er das sagte. Er wäre wahrscheinlich lieber Doktor der Universität geworden als Fassbinder. Aber Dalmonte wehrte ab.
»Was nützt das? Tot ist tot. Der Arme soll ein ehrliches Begräbnis bekommen. Ich glaube, er hat hinter Sankt Andreas gewohnt. Ich werde mich darum kümmern.«
Kall zuckte mit der Achsel. »Wie Ihr meint â¦Â« Es war ihm anzusehen, dass er die Entscheidung des Spediteurs zutiefst bedauerte. Wenigstens den Eingangsbereich wolle er aber noch inspizieren, sagte er ein wenig verstimmt und bat um eine Laterne. Dalmonte und Matthias, der dem Verletzten geöffnet hatte, begleiteten ihn. Noch immer schüttete es aus allen Himmeln, die StraÃe vor dem Haus glänzte wie frisch geschrubbt. Am Rand der untersten Treppenstufe lag ein Stein, wahrscheinlich der, auf den Cettini gefallen war. Ob er schon längere Zeit an dieser Stelle gelegen hatte, vermochten weder der Spediteur noch der Knecht zu sagen. Vielleicht hatten die Täter auch den Schreiber damit angegriffen. Darüber hinaus aber fanden sie nichts, was auf die Lumpenkerle hätte schlieÃen lassen. Nicht einmal den Knopf eines Rockes oder ein Stück Ãrmelspitze, sodass man wüsste, ob die Täter Bettler oder Herren waren. Der Regen hatte alle Spuren des Kampfes verwischt.
In dieser Nacht ging niemand zu Bett. Stumm saÃen sie in der Küche, hielten Totenwache. Maria und Resa, die beiden Mägde, hatten Angst, in ihre Kammer zu gehen. Matthias und Severin lehnten an der Wand auf dem Boden, weil sie den Leichnam auf die Bank gebettet hatten. Die Köchin döste am Tischende, neben ihr der alte Bonifaz, und irgendwann war auch Moritz eingeschlafen. Anna hatte seinen Kopf auf ihren Schoà gebettet und ihm ihr Schultertuch übergelegt. Sie merkte nicht, dass sie selbst fror.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie, als sie das Schweigen nicht länger aushielt.
»Und was hat Farina damit zu tun?«, wollte auch Frau Gertrude wissen.
Dalmonte setzte sich müde zu ihnen. Er hatte eigentlich nicht darüber sprechen wollen. Nun tat er es doch. Berichtete von Cettinis unglaublicher Behauptung und seinen eigenen Zweifeln. Und von seinem Besuch in der »Vullen Kanne«, wo Bianco von dem Ãberfall auf den Fuhrknecht erzählt hatte. Als die Lieferung am Ende des Tages noch immer ausstand, habe Farina den Burschen ausfindig machen lassen und so erfahren, was passiert war. Der Knecht hatte wirklich geglaubt, er hätte die Ware einem Diener von Farina ausgehändigt. Das hässliche Gerede einiger Ratsherren
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