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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Kriel, wo Janne wohnte, war lang. Gut eine Stunde musste sie rechnen. Sie schaute hinüber zu Hermine und den beiden Kindern. Ein Anblick zum Gotterbarmen.
    Ohne zu überlegen, überquerte sie die Straße.
    Â»Willst du uns tragen helfen, Lisbeth?«, fragte sie das Mädchen.
    Hermine hob den Kopf und stierte Anna verständnislos an. Das eine Auge hielt sie mühsam offen, über dem anderen hing schief das Lid. Das Gesicht aufgedunsen, schwammig. Ein einzelner Zahn blitzte zwischen den offenen Lippen.
    Â»Ja«, hauchte Lisbeth, einen Wimpernschlag lang hatten ihre Augen aufgeleuchtet, dann wurden sie wieder matt und ausdruckslos.
    Â»Hermine, ich nehm sie mit, ich bring sie dir heute Abend wieder.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie Lisbeth bei der Hand, die ihr bereitwillig folgte. Anna packte das Brot und den Fisch in ein Tuch und knotete es so, dass sie das Bündel dem Mädchen auf den Rücken binden konnte.
    Â»Wie alt bist du, Lisbeth«, fragte sie die Kleine, während sie an den Bächen entlang in südwestlicher Richtung zum Weyertor gingen.
    Â»Ich weiß nicht.«
    Â»Bist du denn schon zur heiligen Kommunion gegangen?«
    Â»Ich weiß nicht.«
    Â»Magst du eine Pomeranze?«
    Lisbeth antwortete nicht. Kurz entschlossen nahm Anna dem Kind das Essen vom Rücken, sie setzten sich auf einen Baumstamm am Wegrand, Resa hinter ihnen ins Gras. Anna begann eine der Früchte zu schälen und reichte sie dem Kind.
    Â»Und iss auch Brot!«
    Kaum waren sie angekommen, wäre Anna am liebsten sofort wieder aufgebrochen. Es war nicht allein der giftige Brodem der Krankheit, der im Raum stand wie abgestandener Brei und ihr das Atmen unangenehm machte. Sie wollte vielmehr schon längst wieder zurück in Köln sein. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, diesen Herrn Farina in Augenschein zu nehmen, sich die Ecke anzuschauen, wo der Fuhrknecht überfallen worden war. Vielleicht würde ihr dann etwas einfallen. Du musst genau die Wellen beobachten, den Himmel, die Wolken, den Wind, dann verstehst du, wie alles zusammenhängt, hatte ihr Vater gesagt, wenn sie neben ihm am Ruder stand. Und sie hatte beobachtet. Was für die Rheinschifffahrt galt, konnte auch anderswo nicht falsch sein. Doch Janne war so glücklich über ihren Besuch, dass sich Anna ihrer Eile schämte. Sie riss sich zusammen. Die Freundin hatte es böse erwischt. Fieber. Durchfall. Ganz durchsichtig sah sie aus, wie sie so dalag.
    Â»Geh mit Henrik spielen.« Anna schickte Lisbeth zu einem Jungen, der in der offenen Eingangstür saß. Mit seinen nackten Füßen stieß er Murmeln an. Stand auf. Schob sie zurück. Schoss wieder. Traf er sein Ziel, ein Holzstäbchen in der Erde, jubelte er laut. Resa war schon vorher verschwunden; sie kannte die Magd im Pfarrhaus, und wenn sie Anna nach hierher begleiten musste, ging sie regelmäßig dorthin.
    Anna hatte Wasser heiß gemacht, sie ließ die Kräuter darin ziehen und schüttete einen guten Schuss Wein dazu. Dann setzte sie sich neben Janne aufs Bett und flößte ihr löffelweise den Sud ein.
    Â»Du musst trinken und auch essen«, ermahnte sie sie, und Janne nickte artig. Aber sie bekam kaum etwas hinunter, und nach zwei Bissen Brot und einem Stückchen Aal, so winzig, dass es in einen Spatzenschnabel gepasst hätte, drehte sie den Kopf zur Seite.
    Anna nahm Jannes Hand, sie schien ihr seit ihrem letzten Besuch noch dünner geworden zu sein. Das kupferne Ringchen, das sie gemeinsam einem fahrenden Händler abgekauft hatten, war ihr viel zu groß geworden und rutschte auf dem knochigen Mittelfinger hin und her. Das Gegenstück an ihrer eigenen Hand saß fest am linken Ringfinger. Manchmal griff sie danach, um zu sehen, ob es noch da war.
    Wie schön war Jannes Hand gewesen, als sie in Utrecht zusammen am Kanal gesessen und sich gegenseitig ihre kleinen Geheimnisse erzählt hatten. Weich und zart fühlte sie sich damals an, wie die Haut eines Neugeborenen. Überhaupt war Janne immer die Hübschere von ihnen gewesen, und als eines Tages der Jupp auftauchte, war Anna sofort klar, dass er sich nicht in sie verlieben würde.
    Â»Ist Jupp auf dem Feld?«, fragte sie.
    Janne schüttelte den Kopf.
    Â»Das Geld hat nicht gereicht für neues Saatgut. Er ist wieder zum Rhein.«
    Das Reden fiel Janne schwer.
    Â»Will er wieder aufs Schiff?«
    Â»Ja.«
    Â»Warum habt

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