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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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hatte, aber die wunderlichsten Geschichten erzählen konnte. Wie ruhig waren dagegen die Mahlzeiten mit seiner Frau im Salon. Seit Anna bei ihnen lebte, waren sie wenigstens zu dritt.
    Dalmonte stand auf und sprach das Tischgebet.
    Â» Cun Cristo Salvatur e cun la Madona Santa «, endete er und schlug das Kreuz. Dann griff er nach dem Schwarzbrot und schnitt jedem eine Scheibe ab.
    Auch das war ein Kampf gewesen.
    Â»Wir können uns doch Weißbrot leisten«, hatte sich seine Frau aufgeregt und bei ihrer Mutter ihr Herz ausgeschüttet. Aber Dalmonte bestand auf Schwarzbrot, ein Schwarzbrot, wie sie es im Valle aßen. Wenigstens einmal im Monat. Und die Köchin buk einmal im Monat Roggenbrot. Im Laufe der Jahre wurde sie so gut darin, dass sie es mit den besten Bäckerinnen im Vigezzotal hätte aufnehmen können.
    Draußen rauschte der Regen, klatschte gegen die Fenster, rann gurgelnd durch die Abflussrinne im Hof. Drinnen aßen sie schweigend, bis der Spediteur seinen Teller leer hatte und den Kopf hob. »So kann es nicht mehr weitergehen.«
    Keiner sagte etwas, auch Frau Gertrude nicht, nur der alte Bonifaz öffnete und schloss den Mund, als ob er stumm vor sich hin redete. Er hatte bei ihrem Vater, Tuchmeister Esser, gedient und sie schon als Säugling in den Armen gehalten. Nachdem sie diesen Fremden geheiratet hatte, bestand er darauf, ihr in den Filzengraben zu folgen. Er war der Älteste im Haus, aber seine Arme waren noch immer kräftig genug, um Holz zu hacken und die Karren zu schmieren. Und es wurde ihm zugestanden, als Erster zu antworten.
    Â»Nein, so kann es wirklich nicht mehr weitergehen. Am Mittwoch ein Sack Pomeranzen weg und gestern zwei Ballen Tuch und Tabak! Kaum, dass ich die Stapelgebühren bezahlt habe.«
    Â»Dieser letzte Diebstahl fällt aus der Reihe«, sagte Dalmonte. Er beugte sich vor und suchte Moritz, der verdeckt zwischen Anna und der Köchin saß.
    Â»Hast du wirklich niemanden gesehen?«
    Der Junge zuckte zusammen. Dann fing er an zu weinen.
    Anna, die neben ihm saß, legte den Arm um das Kind und versuchte es zu beruhigen.
    Â»Nein«, schluchzte es. »Ich hab gerade den Käse auf die Karre geladen, und als ich mich umdrehte …« Wieder schluchzte Moritz auf und zog die Nase hoch.
    Â»â€¦Â ich hab doch auch sofort laut geschrien«, sagte er kaum hörbar.
    Die anderen Knechte bestätigten, was der Junge gesagt hatte. An den Hafenpforten war so viel Betrieb, jeder halbwegs geschickte Dieb konnte, ohne gesehen zu werden, blitzschnell zugreifen und dann in der Menge untertauchen. Der Kleine tat ihnen leid. Er war erst vor ein paar Wochen ins Haus gekommen, eine Nachbarin hatte gefragt, ob der Spediteur den Zehnjährigen nicht nehmen könne. Die Eltern seien tot, das Kind wisse nicht wohin, und ihre eigenen acht Kinder machten ihr schon genug zu schaffen. Im Übrigen sei er protestantischen Glaubens und die Anna doch auch.
    Dalmonte hatte Moritz genommen.
    Â»Noch ein Maul, das gefüttert werden muss«, hatte Frau Gertrude an jenem Nachmittag Anna angeschnauzt und wütend den Packen frisch geplätteter Wäsche auf den Tisch geknallt.
    Â»Warum hat Gott mich mit diesem Mannsbild gestraft? Ein Herz wie ein Nönnchen. Und wenn du was sagst, dann heißt es gleich, du bist kalt wie Stein.« Sie schimpfte laut vor sich hin, während sie schnell und geschickt die Wäsche in die Schränke sortierte und dabei nachzählte, ob auch kein Stück fehlte.
    Â»Und immer sind sie aus Craveggia wie mein Dalmonte! Oder aus Crana, Zornasco, Santa Maria oder wie die Nester alle heißen!«
    Â»Aber Moritz’ Eltern kamen aus Kleve«, wagte Anna dagegenzuhalten, doch Gertrude winkte ab.
    Â»Als ob das einen Unterschied macht! Gleich nach unserer Heirat hat es angefangen. Ein Giovanni war unser erstes Kind. Dreizehn war der Kerl und ist nach einer Woche mit der Geldkassette auf und davon. Aber wenn du glaubst, Dalmonte hätte daraus gelernt, nein, mitnichten, der nächste Giovanni stand schon vor der Tür, da war unser Carl Baptist noch gar nicht geboren.«
    Frau Gertrude schluckte. Der Gedanke an ihren einzigen Sohn, dem sie es erlaubt hatte, mit fünfzehn Jahren auf einem Überseesegler nach Java anzuheuern, ließ sie verstummen. Das Schiff war Monate später mit Mann und Maus in einem Sturm vor Afrika gesunken. Sie hatte sich nie verziehen, dass sie ihn hatte

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