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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Hand gedrückt. Es war gut verpackt. Der Dottore würde es merken, wenn er es aufmachte, um herauszufinden, was es enthielt. Er versuchte es gar nicht erst.
    Die Glocken von Sankt Severin begannen zu läuten, gleich darauf fielen die von Sankt Magdalena ein. Nie war es still in Köln, nirgendwo gab es ruhige Ecken. Außer vielleicht an seinem Platz unten am Rhein in der Nähe des Bayenturms. Auch jetzt kamen von allen Seiten Menschen herbeigeströmt, Gläubige, die in den dunklen Bäuchen der beiden Kirchen verschwanden. Eine Gruppe junger Mädchen marschierte fröhlich schwatzend an ihm vorbei, sie warfen ihm aufreizende Blicke zu. Eine drehte sich unter der Kirchentür noch einmal nach ihm um und winkte.
    Auch zu Hause gingen sie heute in die Palmsonntagsmesse. Unten im Dorf oder, wenn das Wetter es zuließ, in die Chiesa parrocchiale in Santa Maria. Am liebsten war er mit der Mutter und den Geschwistern an den Pfingstmontagen immer nach Re gewandert, obwohl sie mitten in der Nacht aufbrechen mussten. Jedes Jahr hatte er darauf gehofft, dass die Madonna mit dem Kind wieder aus der Stirn blutete und Wunder tat, so wie sie vor langer Zeit geblutet hatte und Wunder vollbrachte, nachdem der böse Giovanni Zuccone aus Londrago, nur weil er beim Steinchenspiel verloren hatte, in seiner Wut seinen Spielstein, die Piodella, mit voller Kraft gegen ihr Bild an der Kirchenwand schleuderte und die Heilige an der Stirn traf. Aber nie erfüllte sie Giacomos Wunsch, und auf dem Heimweg trottete er jedes Mal aufs Neue enttäuscht hinter den anderen her. Warum gönnte die Madonna ihm dieses Wunder nicht?
    Er hatte schon lange nicht mehr an zu Hause gedacht. Ob seine Mutter noch lebte?
    Er ließ den Kirchplatz hinter sich und bog in den schmalen Pfad ein, der in die Gärten vor der Stadtmauer führte. Der Zwergenmann machte ihm dieses Mal sofort auf, als er in dem Rhythmus, wie sie es vereinbart hatten, an das Gatter schlug. Die Pflänzchen im Beet waren kaum größer geworden, aber wieder erfuhr er nicht, was dort wuchs. Die Packen an der Mauer stapelten sich, sie hatten gute Beute gemacht in den letzten Tagen. Er trat leise an die Tür der Hütte, ganz nah wollte er sein, wenn der Dottore aufmachte, damit er den Geruch besser als das erste Mal riechen und vielleicht sogar einen Blick in den Raum werfen konnte.
    Der Alte war schon wieder irgendwohin verschwunden, Giacomo war es recht.
    Er klopfte.
    Â»Endlich.«
    Die Stimme des Römers drinnen klang missgelaunt. Giacomo hatte längst gelernt, dass man den Mann nicht unnötig reizen sollte, und er begriff, warum der Bastard ihn mit diesem Gang beauftragt hatte und nicht selbst gegangen war.
    Die Tür wurde aufgerissen – und da war er wieder, dieser Geruch.
    Â»L’acqua miracolosa della gentildonna!« , entfuhr es Giacomo.
    Zuerst weiß er nicht, wo er ist. In seinem Kopf braust es. Als er sich bewegt, fährt ihm ein stechender Schmerz durch die linke Schulter. Er schlägt die Augen auf und schaut in die Augen einer Frau.
    Er ist aufgewacht, ruft sie irgendjemandem zu, ein erleichtertes Lachen fliegt über ihr Gesicht. Sie betupft seine Stirn und die Schläfe mit einem weißen Tuch. Das Tuch duftet. Es verströmt ein Aroma, wie er es noch nie zuvor gerochen hat. Da ist Schärfe und Süße darin und die gleiche spritzige Würze, die er der Pomeranze entlockt, wenn er auf den Märkten von Cannobio oder Brissago heimlichst einen Fingernagel in die wächsern gelben Schalen bohrt und der ölige Saft ihm ins Gesicht spritzt. Schnell schließt er die Augen wieder und atmet tief den Wohlgeruch ein. Geht es wieder, hört er die Dame fragen. Ihre Stimme ist warm wie die Decke, die ihn umhüllt. Sie legt ihre Hand auf seine Stirn, er rührt sich nicht. Er möchte, dass sie ihre Hand nie mehr fortzieht. Dann hört er Schritte, und eine zweite Person versucht ihn aufzurichten. Trink das, es wird dir guttun, sagt sie, und er bedauert, die Augen öffnen zu müssen. Eine Dienerin hält ihm einen Zinnbecher mit warmem Wasser hin. Auch das Wasser duftet, und er trinkt es in einem Zug. Es schmeckt seifig weich und kratzt ein wenig in der Kehle.
    Die Dame sitzt noch immer neben ihm. Du bist den Schornstein heruntergefallen, sagt sie, aber er kann sich nicht erinnern. Sie trägt ein nachtdunkles Kleid, um ihren Hals eine Kette aus rötlichen, in Gold gefassten Steinen. Die Haut

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