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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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und Johanna strich ihr beruhigend übers Haar.
    Â»Kind, das geht vorüber, glaub einer erfahrenen Frau. Man stirbt nicht daran.«
    Während die anderen sich zur Messe fertig machten, beeilte sie sich, in ihr Zimmer zu kommen. Ihr war heute nicht nach katholischem Gottesdienst. Zwar begleitete sie die Familie manchmal in die Kirche, aber sie war wie ihr Vater protestantisch und fühlte sich immer ein wenig ausgeschlossen aus der Schar katholischer Gläubiger. Das Aufstehen und wieder Hinsetzen, das Niederknien auf den harten Fußbänkchen, das fortwährende Kreuzschlagen, der aufdringliche Weihrauchgeruch, bei dem es ihr regelmäßig schlecht wurde, all das blieb ihr fremd, auch noch nach vielen Jahren in Köln. Was sie liebte, war der warme Innenraum von Maria Lyskirchen, in dem sie sich geschützt fühlte, die breiten, rechteckigen Pfeiler, die die Welt zu tragen schienen, die flackernden Kerzen, die fromme Stifter immer wieder anzünden ließen, und das geheimnisvolle Bimmeln der Glöckchen während der Wandlung. »Eure protestantische Kirche ist etwas für den Kopf«, hatte ihre Mutter einmal gesagt, »unsere Kirchen sind fürs Herz.« Damals hatte sie es nicht begriffen. Aber seit sie verstand, wie die Mutter es meinte, schlüpfte sie hin und wieder durch das Kirchenportal, lehnte sich, unbemerkt von anderen, an einen Pfeiler und ließ sich vom verhangenen Licht und dem leisen Gemurmel andächtig Betender einlullen. Sie hob den Blick zu den drei hohen Fenstern im Chor und verglich die Pracht des Hochaltars mit den aufgeräumten Kirchen ihres Vaters. Irgendwie würde sie immer dazwischen stehen. Ein Glück nur, dass Herr und Frau Dalmonte sie nie drängten und selbst Pfarrer Forsbach schon lange nichts mehr sagte, wiewohl er am Anfang gehofft hatte, sie in die offenen Arme der katholischen Kirche zurückholen zu können. Nach einer Weile sprach sie dann ein Vaterunser – ohne sich zu bekreuzigen! – und befand, dass der Kopf nun wieder an der Reihe war. Und der Verstand.
    Heute Nachmittag, wenn Diedrich von Merzen sie ins Kaffeehaus führte, brauchte sie Kopf und Verstand.
    Sie überlegte, was sie anziehen sollte. Das Weiße mit den gelben Rosen und grünen Blätterranken, das sie von Frau Gertrude bekommen hatte, gefiel ihr. Aber für den Anlass war es viel zu auffallend. Vor allem die außergewöhnlich langen Engageantes . Langsam ging sie ihre Garderobe durch, große Auswahl hatte sie nicht. Das taubenblaue Seidene mit den schlichten orangefarbenen Einsätzen und dem passenden Fichu fand sie am geeignetsten. Es war hübsch, aber nicht aufdringlich. Sie trug es oft, wenn sie über den Rechnungsbüchern saß. Die Kunden kannten sie darin. Von Merzen sollte nicht glauben, dass sie sich ihm zu Ehren besonders herausgeputzt hätte. Nach kurzem Zaudern band sie sich aber doch das nachtblaue Samtband mit dem zierlichen Perlenverschluss um den Hals, das ihr Vater ihr einmal aus den Niederlanden mitgebracht hatte. Sie betrachtete sich im Spiegel.
    Â»Nur weil heute Palmsonntag ist«, erklärte sie ihrem Gegenüber, das kritisch zurückblickte. »Soll er doch denken, was er will«, sagte sie eigensinnig. Und die anderen auch, fügte sie im Stillen hinzu.
    Er hatte sie mit einer offenen Kutsche abgeholt. Moritz machte große Augen, dann aber setzte er Kennermiene auf und schritt gelassen um das Gefährt herum, prüfte Speichen und Deichsel und klopfte dem Pferd anerkennend den Hals.
    Â»Ein guter Wagen, ich kenn mich da aus«, flüsterte er Anna im Brustton der Überzeugung ins Ohr, als sie in Begleitung von Dalmonte aus dem Haus kam.
    Die ganze Straße hatte sich vor dem Haus »Zum roten Schiff« versammelt und bestaunte das Fahrzeug. Anna war es unangenehm, vor allen Gaffern aufzusteigen und sich neben von Merzen zu setzen, aber Herr Dalmonte half ihr galant. Johanna ließ sich den beiden gegenüber nieder. Sie strich sich den Jupe glatt, richtete sich kerzengerade auf und schaute sich triumphierend um. Man hätte meinen können, sie würde ausgeführt.
    Den ganzen Filzengraben und Mühlenbach entlang rannten die Kinder hinter ihnen her. Bis zum Neumarkt sprachen Anna und von Merzen kaum ein Wort. Einmal spürte sie, dass er sie von der Seite anschaute. Ob alles in Ordnung sei, fragte er.
    Â»Ja.«
    Und wieder schwiegen sie. Vor dem Kaffeehaus in der

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