Filzengraben
darüber gesprochen, dann war dieser gestorben, und er hatte die Idee erst einmal beiseite geschoben. Merckenich wäre der richtige Mann für so etwas, dachte er, tatkräftig, unbestechlich. Nur leider war er kein Vigezzino. Um den Menschen im Vigezzo zu helfen, brauchte es Leute, die mit dem Tal verbunden waren. Leute wie er. Und Farina.
Der Gedanke an seinen Landsmann machte ihn schlagartig nüchtern. Er würde ein andermal über eine Schulstiftung nachdenken.
»Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest.«
Seine Stimme war schärfer als beabsichtigt, und die anderen blickten überrascht auf. Schnell korrigierte er sich: »Vielleicht will Anna es dir lieber selbst erzählen.« Er wollte sie dazu ermuntern, aber das Mädchen schüttelte verlegen den Kopf.
»Nein? Dann muss ich es dir wohl sagen.« Er wischte sich mit der Serviette über den Mund, hüstelte feierlich und platzte dann heraus: »Deine Tochter hat einen Verehrer.«
Anna wäre der Köchin am liebsten um den Hals gefallen, dass sie genau in diesem Moment mit lautem Gepolter die Tür aufstieà und Kaffee hereinbrachte. Wollte man ihr übel, was selbstverständlich niemandem im Haus Dalmonte in den Sinn käme, hätte man meinen können, sie hätte an der Tür gelauscht. Anna sprang auf und half Johanna, die Tassen auf dem Tisch zu verteilen. Der Kaffee duftete betörend, und eine Zeit lang hörte man nur leises, vorsichtiges Schlürfen und das feine Klirren, wenn jemand seine Tasse auf den Unterteller zurückstellte.
Dann aber konnte Pieter Meesters seine Neugier nicht mehr bezähmen. Alles wollte er wissen, und Dalmonte erzählte mit stolz geschwellter Brust, als ob er der Vater wäre. Die beiden Frauen hielten sich zurück, die eine, weil sie gegen den Redeschwall ihres Mannes ohnehin nicht ankam, die andere, weil es ihr unangenehm war. Natürlich fühlte Anna sich geschmeichelt, dass ein so viel älterer, erfahrener Mann wie Diedrich von Merzen sich um sie bemühte. Aber sie wusste doch noch immer nicht so recht, was sie für den Spediteur empfand. Ob er wirklich der Mann war, dem sie ihr Ja geben wollte. Es war weit nach Mitternacht, als sie die Tafel aufhoben. Johanna, die noch in der Küche wirtschaftete, hörte das Hämmern am Hintereingang zuerst.
»Aufmachen! Macht doch endlich auf!«
Sie erkannte die nuschelige Stimme sofort und riss den Riegel zurück. Tilman stürzte in den Hof.
»Sie haben die âºHenrietta⹠überfallen!«
FÃNFZEHN
»Wer sind âºsieâ¹?«
Mit kleinen, verschlafenen Augen saà der Bürgerhauptmann Willem und Jan Jantje in der Küche im Filzengraben gegenüber und versuchte zum wiederholten Mal, sich aus ihren mehr niederländisch als deutsch gestammelten Brocken ein Bild von dem nächtlichen Angriff zu machen. Das ganze Haus war um den Esstisch versammelt, Anna fahl wie Kerzenwachs. Ihr Vater hatte den Arm um sie gelegt. Ein trauriger Karfreitag war heraufgedämmert.
» Geen idee . Sie müssen sich von hinten angeschlichen haben.« Jan Jantje massierte sich mit beiden Händen den Hals, drehte ihn vorsichtig nach allen Richtungen, betastete sein linkes Ohr, die Beule am Hinterkopf.
»Habt ihr geschlafen, dass ihr nichts gehört habt?«
»Nein, wirklich nicht. Aber am Ufer war es laut, irgendein Gejohle in einer Schenke, ein ganzer Haufen Saufbrüder stand auf der Kaimauer herum und grölte. Die hätten eine Kanone abschieÃen können, wir hätten es nicht gehört.«
»Ihr könnt also nicht sagen, wie viele es waren?«
Willem verneinte wortlos. Ihn hatte es besonders schlimm erwischt. Immer wieder hatte Johanna den Verband wechseln müssen. Es dauerte lange, bis die Wunde zu bluten aufhörte. Jetzt saà der Geselle mit dick umwickeltem Kopf da, stöhnte vor sich hin und rieb sich die wehen Knochen.
»Ich habe gerade noch gesehen, wie sie Willem eins übergezogen haben«, berichtete Jan Jantje. »Dann muss es auch mich erwischt haben, denn als ich wieder aufwachte, lag ich gefesselt am Boden, mit den FüÃen am Mast festgebunden, Willem neben mir. Ich konnte gar nichts machen, nicht mal schreien, weil sie mir einen Knebel in den Mund geschoben haben. Und Willem rührte sich nicht.«
»Und dann?«
»Ich konnte Schritte hören, mir kam es so vor, als ob es zwei waren. Aber ich will es nicht
Weitere Kostenlose Bücher