Filzengraben
ich machen? Ich habe feste Kosten. Die Zolltarife, die Stapelgebühren. Und alle wollen ihr Geld. Die Hafenmeister. Die Schiffer, und die Träger arbeiten auch nicht umsonst. Ich weià nicht, wie das weitergehen soll.«
Ganz gegen seine Gewohnheit trank der alte Lombarde seinen Weinbecher in einem Zug aus.
» Scusami , Pieter, ich habe dich ganz vergessen. Wo habe ich nur meinen Kopf!«
Er füllte den Becher von Annas Vater und bediente sich selbst gleich noch einmal.
»Auf dein Wohl!«
»Auf eures!«, antwortete Pieter Meesters. Alles sprachen sie noch einmal durch. Den Tod der Jungfer Feminis. Die drückenden Vorwürfe Cettinis. Den heimtückischen Ãberfall auf ihn. Das seltsame Verhalten Farinas, der nichts gegen die Anschuldigungen unternahm und ein Zusammentreffen mit Dalmonte tunlichst vermied. Und natürlich die Diebstähle. Schienen diese am Anfang noch wahllos über die ganze Stadt verteilt gewesen zu sein, mussten sie, nachdem sie alle Vorfälle der letzten Wochen zusammengezählt hatten, feststellen, dass die Täter es inzwischen hauptsächlich auf Dalmonte abgesehen hatten. Das konnte kaum ein Zufall sein.
Frau Gertrude hielt ihrem Mann ein kleines Glas hin, sie war bleich im Gesicht. Bis er begriff, was sie wollte, hatte sie schon selbst die Karaffe mit Branntwein geholt und sich eingeschenkt. Das scharfe Getränk nahm ihr fast den Atem.
»Farina will dir an den Kragen«, sagte sie, als sie wieder sprechen konnte.
»Ach, Trudis, ich weià nicht. Das war zwar auch mein erster Gedanke, aber ich sage mir immer wieder, er ist doch mein Landsmann!«
»Und wenn schon.« Ihre Augen blitzten vor Wut.
Pieter Meesters versuchte sie zu beruhigen. »Wenn ich richtig verstanden habe, trauen doch viele Farina zu, am Tod von Catharina Feminis schuld zu sein. Wenn er sich da an jedem Einzelnen rächen wollte, müsste er die halbe italienische Gemeinde umbringen. Das scheint mir nun doch etwas abwegig zu sein.«
Frau Gertrude schnaubte ungehalten. Ihr Mann tätschelte ihr die Hand. »Noch einen?«, fragte er und goss ihr ein. Diesmal trank sie in kleinen Schlückchen, mit sichtbarem Behagen.
»Du und Farina, habt ihr euch schon als Kinder gekannt?«, fragte Meesters.
»Was heiÃt gekannt? Man kannte den Namen. Und meine Mutter hatte eine Base, die in Santa Maria mit einem Freskenmaler verheiratet war. Der kam in fast jedes Haus und wusste immer, was überall so passierte. Aber damals war ich noch ein Kind, und als Kind schert einen das Gerede nicht. Als ich das Valle verlieÃ, war Farina kaum älter als vier oder fünf.«
Er war vierzehn gewesen, als er mit Don CiufÃn mitging und sein erstes Geld als Pomeranzenjunge verdiente. Die Kinder der Farina dürften das kaum nötig gehabt haben. Wer es sich leisten konnte, schickte seine Söhne in die groÃen Handelsstädte zu Verwandten, wo sie das Leben kennenlernen sollten. Sie wurden Kaufleute, Bankiers, Tabakfabrikanten. Die Brentanos in Frankfurt fielen ihm ein, die reichen Guaitas, Johann Jakob Mainone, der Geld an Fürsten verlieh. Aber sie waren die Ausnahmen. Die meisten seiner Landsleute blieben ihr Leben lang Kaminfeger, ungelernte Maurer, Hausierer oder herumziehende Kesselflicker und Wannläpper , die Kurfürst Clemens August in einem Atemzug mit Dieben und Landstreichern nannte. Kein Mensch kannte ihre Namen. Wenn sie starben, verscharrte man sie vor den Stadtmauern auf dem Acker für Fremde und Aussätzige. Bitterkeit beschlich Dalmonte, aber auch Dankbarkeit, dass er es geschafft hatte. Ein Plätzchen in Sankt Maria Lyskirchen war ihm sicher. Was nur gerecht war, nach allem, was er für die Kirche getan hatte! Dabei fiel ihm ein, dass er wieder einmal Geld nach Craveggia schicken sollte. Nach jedem Winter musste das Dach der alten Schule erneuert werden. Es hieÃ, sie sei die erste im ganzen Vigezzotal gewesen, und er war stolz darauf, dort lesen und schreiben gelernt zu haben. Seit er sich jeden Tag, den Gott werden lieÃ, Wein leisten konnte, war es ihm eine heilige Pflicht, der Pfarrei zu Hause regelmäÃig Geld zukommen zu lassen, für Papier und Federn, für Holzpantinen für die Kinder oder für das Gehalt des Lehrers. Man sollte eine Stiftung gründen, damit überall in den Bergdörfern die Jungen, aber auch die Mädchen, zur Schule gehen könnten. Manchmal hatte er mit dem alten Feminis
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