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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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wunderten sich über die beliebig anmutende Ausbeute.
    Eine ungewöhnliche Gesellschaft hatte sich am Ostersamstag auf dem Friedhof der Elenden am Katharinengraben versammelt, und nie dürfte es dort ein feierlicheres Begräbnis gegeben haben als die Beerdigung des elternlosen Moritz. Meist waren es nur zwei bucklige Leichengräber, die unbekannte Tote, heimatlose Bettler oder bösmundige Ketzer in eine große Grube scharrten. Kaum, dass sie ein Gebet für sie übrig hatten. Hin und wieder gab noch der Pfarrer von Sankt Gregor einem Pilger oder einem armen, aber säuberlichen Wandergesellen das letzte Geleit. Die de Grootes, denen die Kirche mit dem Elendsfriedhof gehörte, ließen dünne Holzkreuze setzen, selten ein einfaches Steinkreuz. Nach ein paar Jahren waren die Male im von Ratten und Mäusen durchhöhlten Boden eingesunken und vom Efeu überwuchert.
    An diesem Morgen aber standen Dutzende von Menschen auf dem schmucklosen Gottesacker herum. Fast ganz Lyskirchen war gekommen, ganz vorn standen die Kinder, keines sprach. Hermines Lisbeth lutschte am Daumen. Wer es sich leisten konnte von den Erwachsenen, trug gute schwarze Trauerkleidung, die anderen hatten sich zumindest dunkle Tücher umgelegt. Die Männer hielten respektvoll Hüte und Mützen in der Hand. Der helle Sarg aus dünnen Brettern wurde langsam in die Erde gesenkt. Anna hatte den Flieder, dessen voller Duft noch am Gründonnerstagabend den Salon erfüllt hatte, obenauf gelegt. Dazu ein Säckchen mit Nüssen und Datteln, die Moritz so liebte. Obwohl das Kind nicht katholischen Glaubens gewesen war, hatte Forsbach die richtigen Worte zum Abschied gefunden. Der Pfarrer hätte es Dalmonte zuliebe nicht übers Herz gebracht, ihm diese Bitte abzuschlagen. Im Übrigen war es Annas Wunsch gewesen, Moritz nicht auf einem protestantischen Friedhof vor der Stadt zu beerdigen, sondern hier, nicht weit weg von der Spedition, damit sie ihn jeden Tag, wann immer ihr danach zumute war, am Grab besuchen konnte. Allein, auch ohne Anstandsbegleitung. Vielleicht, um damit etwas wiedergutzumachen.
    Neben Anna, deren weißes Gesicht hart unter der schwarzen Haube hervorstach, standen ihr Vater und der ganze Dalmonte’sche Haushalt. Der Spediteur und Frau Gertrude, Johanna, Bonifaz, die Mägde und Knechte. Dann Merckenich mit seiner Frau und andere Mitglieder der Nikolausbruderschaft. Dahinter, leise tuschelnd, die Nachbarn aus dem Filzengraben, Schiffsmeister und Gesellen, die kaum jemand kannte. Sogar Simon Kall war gekommen. Man sah ihm an, dass ihn die Geschichte mehr getroffen hatte, als er es je zugegeben hätte. Tilman hielt sich im Hintergrund, und auch Diedrich von Merzen drängte sich nicht auf. Er war nur kurz zu Anna getreten, um ihr seine Erschütterung über den Tod des Kindes zu bekunden. Erst jetzt sei ihm bewusst geworden, wie gern sie den Jungen gehabt hatte.
    An Arbeit war an diesem Tag nicht mehr zu denken. Dalmonte hatte die Köchin angewiesen, Brot und Suppe für die Hausarmen des Kirchspiels zuzubereiten, und obwohl Frau Gertrude am Anfang über die, wie sie es nannte, übertriebene Geldausgabe für ein hergelaufenes Waisenkind schimpfte, stand sie unermüdlich hinter der Almosenbank vor Sankt Maria Lyskirchen und füllte die vielen Schalen und Schüsseln, die die ärmeren Bewohner aus dem Viertel ihr entgegenstreckten. Und nicht nur die. Moritz’ Tod hatte sich in der Stadt herumgesprochen.
    Gegen Abend war von Merzen, der sich wegen dringender Geschäfte zunächst entschuldigt hatte, in den Filzengraben zurückgekommen und hatte Pieter Meesters um ein Gespräch gebeten. Annas Vater hatte den jüngeren Spediteur in Dalmontes Arbeitszimmer komplimentiert und die Tür hinter ihnen geschlossen.
    Anna war alles andere als glücklich darüber. Das war heute nicht der richtige Tag dafür. Sie lag auf dem Bett in ihrem Dachzimmer und grollte. Ausgerechnet heute redeten die Männer über sie und ihr Leben, noch dazu, ohne sie gefragt zu haben. Sie konnten nicht einfach über sie bestimmen, wo sie selbst noch nicht einmal entschieden hatte, was sie wollte. Ob sie ihn wollte. Sie hätte ihren Vater bitten sollen, dieses Gespräch noch nicht zu führen. Sie war dumm gewesen, sie hatte es nicht getan, und alle würden jetzt nur auf ihre offizielle Verlobung warten. Sicher, er war ein Mann von Welt, dieser Diedrich von Merzen. Das tat

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