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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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selten vor Mitternacht zu Bett. Bevor sie das Zimmer verließ, strich sie andächtig über von Merzens hellblauen Damast, den sie aufs Bettende gelegt hatte. Mit den Fingern fuhr sie die zarten weißen und gelben Blütenranken entlang, die den Stoffrand säumten. Sie hatte selten etwas Schöneres gesehen. Jetzt klopfte ihr Herz doch ein wenig.
    Leise stieg sie die Treppe hinunter. Durch die Ritze unter der Tür zum Kontor fiel Licht auf den Gang. Sie hörte Dalmonte reden, jemand musste bei ihm sein. Sie klopfte dennoch.
    Es war Merckenich, der im Besuchersessel saß, die Rückenlehne verdeckte ihn fast. Nur sein sorgfältig kahl rasierter Schädel ragte darüber hinaus, sein Haarteil hing wie vergessen über dem Perückenstock daneben. Unter Freunden redete es sich einfach bequemer ohne. Merckenich drehte sich nach Anna um. Sie knickste und blieb abwartend stehen. Dalmonte winkte sie heran.
    Â»Ich nehme an, es ist wichtig, wenn du um diese Stunde kommst.« Mit der Hand fuhr er sich über die müden Augen, seine Schultern bebten, Anna wusste nicht, ob aus Erschöpfung oder vor Kälte. Sein Gesicht war grau und versteinert, er schien um Jahre gealtert zu sein. So hatte Anna ihn noch nie gesehen, sie sollte zurück in ihr Zimmer gehen. Doch da stand Merckenich schon auf und holte ihr einen Stuhl aus der Fensternische.
    Â»Setz dich!«
    Â» Dio ci ha dimenticati . Was habe ich getan, dass Gott mir das alles antut? In meinem Alter!«, klagte der alte Herr. Vor ihm auf dem kleinen runden Tisch lag ein zur Hälfte beschriebener Papierbogen. Die großen Buchstaben darauf sahen aus wie eilig hingeschmiert. »Hose«, »Gesicht«, »Narbe« entzifferte Anna, während sie Platz nahm. Um nicht neugierig zu erscheinen, lehnte sie sich zurück. Aber Dalmonte schob ihr das Schriftstück zu.
    Â»Lies ruhig! Kall hat es vorbeigebracht. Sie haben sich noch einmal den Knecht vorgeknöpft, dem das Päckchen für Farina abgeluchst worden ist. Übrigens auf ziemlich gerissene Art und Weise.« Nun konnte er ein verschmitztes Lachen doch nicht unterdrücken.
    Â»Kall ist ehrgeizig, er will sich nicht vorwerfen lassen, er würde sich nicht kümmern, und es ärgert ihn, dass er bisher noch nichts über den Mord an Cettini herausbekommen hat. Keinen Schritt weiter ist er gekommen. Niemand will etwas gesehen oder gehört haben, und was den Überfall auf das Schiff deines Vaters betrifft …«, Dalmonte hatte Mühe weiterzureden, »… und Moritz’ Tod, so gibt es auch da nichts Neues. Falls die Sache mit dem Paketträger überhaupt mit unserer Geschichte zusammenhängt, wäre dieser Bursche die einzige Person, an die Kall sich halten kann. Wahrscheinlich hat auch Farina noch ein paar Taler springen lassen, damit sie weitersuchen.«
    Er räusperte sich.
    Â»Sie haben den Träger also noch einmal befragt, vor allem auch, ob er den Betrüger beschreiben könne. Am Ende ist unser guter Bürgerhauptmann zu dem Schluss gekommen, dass der Dieb von Farina auch unser Dieb sein könnte. Kann sein, muss aber nicht. Denn die Person, die dem Fuhrknecht aufgelauert hat, hat anscheinend allein gehandelt. Sowohl bei Cettini als auch bei dem Überfall auf die ›Henrietta‹ waren aber mindestens zwei Personen im Spiel. Behauptet zumindest Tilman. Allerdings, und hier wird es interessant, soll der Dieb bei Farina groß und dünn gewesen sein, und so einen großen Dünnen will Tilman ja auch gesehen haben.«
    Â»Groß ja, aber dünn hat er nicht gesagt«, berichtigte Anna. »Und außerdem, warum sollte ein Mann, der in Farinas Auftrag Cettini umbringt, gleichzeitig Farina bestehlen?«
    Â»Darauf ist Kall natürlich auch gekommen. Aber was soll er machen, er muss jeder Spur nachgehen.«
    Dalmonte nahm einen Schluck Wein, dann kicherte er leise.
    Â»Kall mag manchmal ein wenig einfältig sein, aber glücklicherweise ist er pedantisch. Seine Vorfahren müssen von sonst woher kommen, nur nicht aus Köln. Der Gute hat tatsächlich alles haargenau aufgeschrieben, was der Fuhrknecht ihm erzählt hat. Großer Mann, mager, eine Hose mit Riss über der Wade, auffallend lange Finger. Ach, lies es selbst, Kall hat uns eine Abschrift dagelassen. Vielleicht hast du ja so einen Menschen schon einmal gesehen. Oder Tilman.«
    Anna las, zuerst halblaut, dann ein zweites Mal stumm.

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