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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Gewittertag bibbernd und frierend unter dem Vordach des Hauses »Zur gelben Lilie« stand, ein so durchtriebener Fuchs war. Da musste es jemanden im Hintergrund geben, der andere für sich schaffen ließ und sich selbst die Hände nicht schmutzig machen wollte. Das Einfachste wäre, Tilman würde den Welschen finden und hoffentlich am Gang erkennen. Dann wüssten sie, ob er am Überfall auf die »Henrietta« beteiligt gewesen war. Und an Moritz’ Tod. Seit dem übrigens nichts mehr gestohlen wurde, wie Dalmonte trocken vermerkte. Als ob der Tod des Kindes den Verbrechern einen Schock versetzt hätte. Wenn sie Tilman bäten, den Welschen zu suchen, würde das weniger auffallen, als wenn die Bürgerwacht ausschwärmte.
    Â»Die ist in den einschlägigen Kreisen bekannt, niemand wird denen eine Auskunft geben«, bestätigte auch Merckenich.
    Â»Warst du schon bei der Schneiderin?«, fragte Dalmonte unversehens. Sein Gesicht zeigte wieder Farbe, aus seinen Augen blitzte der Schalk.
    Anna spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.
    Die beiden Herren hoben ihre Becher und prosteten ihr zu. »Auf dein Glück!«
    Merckenich schenkte auch ihr Wein ein.

ACHTZEHN
    Dalmonte stand am Fenster und blickte hinunter in den sonntagsstillen Filzengraben, während er dem Papagei zärtlich den Hals kraulte. Verzückt verdrehte der Vogel den Kopf, trippelte aufgeregt auf dem Sims hin und her und flog dann seinem Herrn auf die Schulter, wo er ihm eine Tirade liebevoller Töne ins Ohr flötete. Der Dank war ihm sicher. Dalmonte kramte in seinen Taschen nach ein paar Rosinen und Nüssen, über die sich der Papagei mit lautem Gekreische hermachte.
    Drunten ging Hermine Gehlen mit drei ihrer Kinder vorbei. Die kleine Lisbeth hüpfte an ihrer Hand auf und ab, die zwei älteren Jungen hinter ihr boxten und kabbelten sich, während sie der Mutter folgten, aber es sah nicht so aus, als ob sie sich ernsthaft stritten. Hermine trug ein Gesangbuch in der Hand, dabei wusste jeder im Viertel, dass sie nicht lesen konnte. Dalmonte nickte zufrieden. Pfarrer Forsbachs warme Worte schienen gewirkt zu haben. Fürs Erste wenigstens. Ihm fiel ein, dass er Anna versprochen hatte, das Mädchen zur Schule zu schicken. Heute Abend noch wollte er seine Frau bitten, sich darum zu kümmern. Er freute sich bereits auf ihr grantiges Gesicht. Sie würde auf der Bettkante sitzen, sich wütend die Haare bürsten und sie dabei fast ausreißen, sie würde ihm flammende Blicke zuwerfen und ihn einen jecken Doll schimpfen, der sie noch alle ruinieren würde. Es hatte lange gebraucht, bis er verstanden hatte, was ein jecker Doll war. Sie würde brutteln und brummen und schließlich nach seiner Hand greifen, ihn zu sich auf die Bettkante ziehen und »Ach …« sagen. »Ach, wenn ich Carl Baptist nur nicht erlaubt hätte, nach Java zu gehen …« Und sie würden nebeneinander sitzen und sich festhalten und die Wärme des anderen spüren und an die Vergangenheit denken und an die Zukunft.
    Die Zukunft. Wer würde eines Tages sein Haus weiterführen, für das er sich all die Jahre abgeplagt hatte? Seinen Kindern hatte er es vererben wollen. Gott hatte anders entschieden. Eines Tages würde er es aus der Hand geben müssen. Es tat ihm in der Seele weh. Aber er war zweiundsechzig, da musste man sich wohl schon mal überlegen, was das Leben noch so alles bringen würde. Ja, wenn Anna ein Mann wäre! Oder wenigstens eine gestandene Kaufmannsfrau! Denn rechnen konnte sie, was man von seiner Frau nicht unbedingt sagen konnte. Leider. Die Idee, dass das Mädchen den Speditionshandel vielleicht übernehmen könnte, war ihm schon öfter gekommen. Irgendwie war sie doch schon fast so etwas wie seine Tochter. Hätte Gott ihm und seiner Frau ein Mädchen geschenkt, hätten sie ihm einen Mann gesucht, in dessen Hände er eines Tages das Geschäft hätte legen können. Es sollte nicht sein, aber dafür hatte Er ihnen Anna geschickt. Aber sie war noch jung, sie würde und sollte heiraten und eine eigene Familie haben, anstatt sich mit der Last eines Handelshauses herumzuschlagen. Das waren doch Aufgaben, die im Grunde nicht in die Hände von Frauen gehörten. Er dachte an die arme Catharina Feminis und zuckte erschrocken zusammen. Im Augenblick würde er sowieso keine Lösung für sein Problem finden, er musste sich

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