Filzengraben
zum Ausgehen bereit machen. Sie würden mit dem Gottesdienst nicht auf ihn warten.
Es war seinem Freund Feminis ein Herzenswunsch gewesen. Nur wenige Wochen vor seinem Tod war er damit herausgerückt. Er wollte den Neubau der Gemeindekirche, der Chiesa parrocchiale im heimatlichen Santa Maria hier in Köln mit einer würdevollen Messe feiern, mit einer Stiftungsmesse. Das Kollektegeld sollte der Ausschmückung der Kirche und der Schule für arme Kinder zugute kommen, einer Einrichtung, die Feminis immer am Herzen gelegen hatte. Der Vorschlag, Dalmonte erinnerte sich noch gut, hatte unter den italienisch sprechenden Einwanderern eine erregte Debatte ausgelöst. Die Leute aus dem Vigezzo waren dafür, obwohl einige der Meinung waren, dass überall im Tal die Gotteshäuser vom Zerfall bedroht seien, die Spendengelder müssten auf alle Pfarreien im Valle verteilt werden. Schulen für Hütekinder seien hingegen ein verzichtbarer Luxus. Dem widersprachen zwar die Leute aus Mailand, aber sie sahen auch nicht ein, warum sie für ein Dorf sammeln sollten, aus dem es vielleicht gerade einmal eine Handvoll Menschen nach Köln verschlagen hatte, und auch die Venezianer zögerten, denn was gingen sie diese rückständigen Bergbewohner an, deren Sprache sie nicht einmal verstanden. Es war Bianco, der Ratsherr und alte Genuese, der nach vier Stunden hitziger Debatte mit der Faust auf den Tisch schlug. Basta! Basta, per favore! Sie kämen doch alle von jenseits der Alpen, und wenn sich dort die Mächtigen uneins seien, dürfe das noch lange nicht heiÃen, dass sie sich hier in Köln die Köpfe einschlügen. »Etwas mehr Zusammengehörigkeitsgefühl, meine Herren!«, rief er. Feminis, Farina und sogar Cettini, der die Heimat seiner Vorfahren nicht einmal kannte, hatten dem Mann damals zugestimmt. Und als Johannes Maria Gallo, auch er ein würdevolles Mitglied des Kölner Rats, vorschlug, zukünftig jedes Jahr einen Gottesdienst für eine andere Heimatgemeinde lesen zu lassen, die dann auch die Kollekte erhalten sollte, waren zu guter Letzt alle einverstanden.
Es war dann wieder Feminis, der sich für den heutigen achtundzwanzigsten April als Messtag ausgesprochen hatte. Zum einen, weil mit Ende des Winters auch Landsleute vom Oberrhein, von der Mosel, aus dem Luxemburgischen und vom Niederrhein anreisen könnten, »trockenen FuÃes« sozusagen. Zum anderen aber auch, weil der achtundzwanzigste April Todestag des bretonischen Ordensgründers Louis-Marie Grignion de Montfort war, der zu Beginn des Jahrhunderts in städtischen Armenvierteln gewirkt und sich schon damals für den Schulunterricht mittelloser Kinder eingesetzt hatte. Wenn es dem Kaufmann und Parfumeur auch beileibe nie in den Sinn gekommen wäre, Priester zu werden, so war ihm dieser Mann doch Vorbild geworden. Dass er den Segensgottesdienst nicht mehr erleben und noch obendrein selbst an einem achtundzwanzigsten sterben würde, wie auch seine Tochter Catharina, das konnte zum damaligen Zeitpunkt keiner wissen. Es hätte ein Fest werden sollen. Nun aber wurde die Messe für die Chiesa parrocchiale in Santa Maria zum traurigen Totengedenkgottesdienst für den alten Lombarden und seine Tochter.
Dalmonte zupfte sich vor dem Spiegel die Halsbinde zurecht und rieb die Knöpfe blank. Insgeheim fand er, dass er in dem schwarzen Rock mit der nachtblauen Litze recht ansehnlich daherkam. Trotz dunkler Ringe unter den Augen. Er schlief zu wenig in den letzten Wochen.
Wenn er Anna die Spedition vermachte, könnte ihr Vater ihr vielleicht zu Seite stehen? Aber der verstand sich aufs Segeln und nicht aufs Kaufmännische. Und wenn Anna tatsächlich diesen von Merzen heiratete? Wäre sein Lebenswerk dann in guten Händen? Noch hatte sie sich nicht endgültig dazu geäuÃert.
Dalmonte grübelte, während er die Perücke aufsetzte und sie vor und zurück schob, bis sie richtig saÃ. Er pustete ein Staubfädchen vom Ãrmel und nahm das Schreiben vom Tisch, das er gestern Abend zu später Stunde aufgesetzt hatte. Rasch überflog er seine eigenen Zeilen, nur bei der Summe von einhundert Reichstalern stockte er kurz. Dann aber wischte er alle Bedenken beiseite. AuÃerdem wusste seine Frau nichts von seiner GroÃzügigkeit. Musste sie auch nicht. Dabei stimmte es ja, was sie sagen würde, wenn sie davon wüsste. Für eine solche Spendierfreudigkeit sei
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