Filzengraben
jetzt nicht die richtige Zeit. Aber er wollte sich nicht lumpen lassen. Schon gar nicht, wo Farina nun schon nach dem Tod von Feminis für die Messe zahlte und sich bereit erklärt hatte, die Reisekosten des vigezzinischen Pfarrers zu übernehmen. Nein, er, Paolo Luciano Dalmonte, lieà sich nicht lumpen. Auch wenn ihm sein Craveggia näher lag als die neue Kirche in Santa Maria. Aber immerhin stammte dieser Giuseppe Mattia Borgnis, der die Wand- und Deckenbemalung der Kirche übernehmen sollte, aus Craveggia. Er kannte den jungen Maler nicht, war der doch erst 1701 geboren, als er schon acht Jahre in Köln wohnte. Aber der Ruf des Künstlers war bis zu ihm gedrungen und erfüllte ihn mit Stolz. Einer aus seinem Dorf! Die Häuser der Familien lagen nur einen Steinwurf voneinander entfernt, und mit Giuseppes Vater war er als Kind oft durch die Gassen gejagt und die Berghänge hoch und runter. Es war nur recht und billig, dass er einhundert Reichstaler stiftete. Der Herr im Himmel würde es ihm vergelten. Und Farina sich hoffentlich ärgern.
Er faltete das Papier, steckte es in seine Rocktasche und griff nach dem Stock, den er seit Kurzem benutzte, wenn er das Haus verlieÃ.
Auf dem Weg zu Sankt Laurenz traf er Merckenich. Sogar Forsbach hatte sein Kommen angekündigt, worüber Dalmonte froh war. Die Anwesenheit der beiden Herren würde ihm helfen, gegenüber Johann Maria Farina Ruhe zu bewahren, die er vielleicht nicht hätte, wenn er ihm allein im Kreis seiner Landsleute begegnete. So musste er deutsch sprechen, damit Merckenich und Forsbach sich nicht ausgeschlossen fühlten. Er würde also seine Sätze mit gröÃerem Bedacht wählen, als wenn er die Muttersprache benutzte. Er kannte sich. In der Muttersprache lieà er sich schnell zu Gefühlsausbrüchen verleiten, und dann war die Gefahr groÃ, dass er Farina Worte an den Kopf schmiss, die er hinterher möglicherweise bereute.
Am Eingang überlieà er Merckenich den Vortritt. Unter der Orgelempore blieb er kurz stehen, damit sich seine Augen an das Dämmerlicht im Innern der Kirche gewöhnten. Das hohe Langschiff, die schweren Mauern, das strenge Rippengewölbe forderten Achtung. Die Kirche zu Hause in Craveggia war kleiner gewesen, übersichtlicher, eine Wohnung im Herrn. Vielleicht mochte er deswegen auch das kleine Sankt Maria Lyskirchen. Während er an den voll besetzten Bankreihen nach vorn in Richtung Altar ging, rührte sich etwas in ihm. Zuerst wusste er nicht, was es war, aber dann spürte er es: Stolz war er, stolz, dass so viele Menschen von überall her Feminisâ Bitte gefolgt waren. Es würde ein schönes Fest geben. Für die Heimat, für die Kirche in Santa Maria, für den toten Freund, für die Armen zu Hause und für den jungen Borgnis, der seine Kunst Gott widmete. Als er Farina sah, der bei seinem Näherkommen steif aufgestanden war und eine Verbeugung andeutete, grüÃte er zurück. Alla fin fine, siamo tutti vigezzini .
Es waren mehr Honoratioren der Kölnischen Kaufmannschaft und des Rats gekommen, als Dalmonte gehofft hatte. Neben Laurenz Bianco und Johannes Gallo saÃen Nikolaus de Groote, Peter Bürvenich und Diedrich von Merzen. Der Nöttelefönes Thelen, quel brontolone , an dessen dummes Geschwätz in der »Vullen Kanne« er sich gut erinnerte, glänzte durch Abwesenheit. Was anderes hatte Dalmonte auch nicht erwartet. Dafür entdeckte er viele Gesichter Einheimischer, deren Namen er kaum kannte. Fast konnte man glauben, die freie Reichsstadt bekunde Interesse für die Belange der Ausstädtischen. Aber Dalmonte machte sich nichts vor. Dieses Entgegenkommen war dem Respekt vor der gemeinsamen Religion zu verdanken, nicht den Fremden an sich. Katholiken bekamen in Köln ihre Chance, egal, welche Sprache sie sprachen. Juden waren schon vor dreihundert Jahren aus der Stadt verbannt worden und Protestanten nur geduldet, vorausgesetzt sie verhielten sich unauffällig und bekundeten keine Absichten, gesellschaftlich und wirtschaftlich aufsteigen zu wollen. Was Dalmonte höchst bedauerlich fand. Waren doch beide, Juden und Protestanten, wenn es ums Geschäftliche ging, oft weitsichtiger als die Kölner mit ihrem unbeweglichen Zunftwesen. Wenn die ganzen Probleme hoffentlich bald vorbei sein würden, wollte er Merckenich und Forsbach auf einen trauten Herrenabend einladen. Damit sie sich über solche
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