Filzengraben
zurückbringst«, schrie ihm die Schneiderin hinterher.
»Das letzte Mal hat er es bei den Herrschaften gelassen, und dann habe ich die Magd gesehen, wie sie ihren Bastard darin eingewickelt hat. In meinen schönen Stoff! Man könnte meinen, ich hätte Geld übrig und könnte Geschenke verteilen!« Als von Merzen ihr hinter drei Ballen Brokat etwas auf den Tisch legte, strahlte sie.
»Ein feiner Herr«, raunte sie Anna ins Ohr und zwickte ihr begeistert in den Arm. Anna rang nach Luft. Noch einmal würde sie nicht hier nähen lassen, schwor sie sich auf dem Weg ins Kaffeehaus. Resa trottete hinter ihnen her. Vor der Tür knickste sie und verabschiedete sich. Frau Gertrude hatte sie gebeten, umgehend wieder zurückzukommen, sie brauche sie.
Jeder betrachtete sie als diesem Mann versprochen, dachte Anna, nur sie wusste nicht, was sie wollte. Aber wahrscheinlich war es jetzt zu spät. Sie hatte alles akzeptiert, was er ihr bot.
»Das Hellblau betont die Farbe Eurer Augen«, bemerkte von Merzen und schenkte ihr Schokolade ein, was das Kellnermädchen unterlassen hatte. Als zwei Herren an ihrem Tisch vorbeikamen und stehen blieben, erhob er sich zu einer lauten BegrüÃung. Dann senkte er die Stimme, und Anna konnte nicht mehr verstehen, was sie miteinander redeten. Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie über sie sprachen.
»Ihr seid oft hier?«, fragte sie von Merzen, nachdem dieser sich wieder gesetzt hatte und die Männer weitergegangen waren, nicht ohne Anna noch schnell abschätzende Blicke zuzuwerfen.
»Was heiÃt oft?«, fragte er zurück.
Die Kellnerin streifte versehentlich seinen Arm, als sie sich mit ihrem Tablett an ihn drängen musste, um einen wohlbeleibten Herrn durchzulassen, der sich mit der Freitagsausgabe der Gazette de Cologne heftig Luft zufächelte. Der Tabakrauch stand aber auch schneidend dick im Saal. Von Merzen grüÃte zu einem Tisch hinüber, an dem sich eben neue Gäste niederlieÃen. Zwei waren noch bis vor Kurzem Kunden von Dalmonte gewesen, den Dritten kannte Anna nicht. Sie sah die Bedienerin, wie sie wieder mit zusammengepresstem Mund an ihrem Tisch vorbeischoss. Am liebsten wäre Anna aufgestanden und gegangen. Sie zwang sich zur Ruhe.
»Das Aqua mirabilis, das Ihr auf dem Mülheimer Markt gekauft habt, war also eine Fälschung.«
Von Merzens Feststellung klang mehr wie eine Frage. Nachdem Dalmonte zu Hause erzählt hatte, dass der unbekannte Gängler zum Stadtgespräch beim Stiftungsfest geworden war und sich der Rat der Stadt mit dem Fall befassen wolle, war klar, dass von Merzen sie darauf ansprechen würde. Aber was hieà das, eine Fälschung? Gab es nicht Hunderte von Heilwässerchen?
»Habt Ihr es probiert?«
Sie trank einen Schluck heiÃe Schokolade und nickte.
»Und?«
»Was und?«
»Wie ist es? Vergleichbar mit dem von Farina oder ganz anders?«
Sie zögerte.
Jeder regte sich darüber auf, was für eine Frechheit es sei, dass Farinas Aqua mirabilis über Nacht eine ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen hatte und dabei ganz offensichtlich gefälscht wurde. Jeder sprach von dem wirtschaftlichen Schaden für den Destillatore und für die Stadt. Wo kämen wir denn hin, wenn das alle machen würden, hatte sie erst gestern beim Vorübergehen ein paar Ratsherren auf dem Alter Markt sich ereifern hören. Dass aber diese Person, die die Flaschen verkaufte, vielleicht ein Mörder war, daran dachte niemand. Das Heilwasser war Anna egal. Warum sollte nicht jemand, vorausgesetzt er war ein ehrlicher Mensch, ein Aqua mirabilis herstellen, das sich auch kleine Leute leisten konnten? Die Hauptsache war doch, dass es half. Und das tat es. Janne hatte ihr die Nachricht zukommen lassen, der Kleine sei auf dem Weg der Besserung. Die Pfarrhaushälterin tue ein Ãbriges und komme jeden Tag mit heiÃer Brühe und Kräutersud. Oder hatte die alte Hexe ein besseres Zaubermittel?
»Es hat dieselbe Wirkung«, antwortete sie vorsichtig.
»Aber Ihr würdet den Unterschied erkennen?«
»Ich glaube nicht«, log sie.
Sie schwiegen. Anna betrachtete den goldenen Siegelring an von Merzens Hand, die sorgfältig gefältelte Spitze, die unter den Rockärmeln hervorquoll, die fein gepuderte Perücke, die dem Träger gut stand. Das weiche Gesicht zeugte von seiner Lust am Leben, nur die Augen, die sich manchmal zu schmalen
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