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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Halbmonden zusammenzogen, verrieten, dass er auch ein harter Geschäftsmann sein konnte, einer, der vorwärtsstrebte. Was nicht das Verkehrteste sei, hatte ihr Vater gesagt und dabei ihre Wange gestreichelt.
    Der Tabakrauch biss ihr in die Augen. Vom Nebentisch gellte schallendes Gelächter herüber, die Dame dort ergriff den Arm ihres Begleiters, laut krachend fiel beim Aufstehen ihr Stuhl um, was die Dame aufs Neue in Heiterkeit versetzte. Zweifellos hatte sie einen höchst vergnüglichen Nachmittag verlebt. Die Kellnerin, eine andere als die, die Anna und von Merzen bediente, knickste artig, als das Paar zum Ausgang ging und der Herr ihr im Vorübergehen ein Trinkgeld zusteckte. Wie selbstverständlich ließ sie es in die Tasche ihrer Schürze gleiten und eilte zurück in die Küche. Sie hatten viel zu tun, diese Mädchen, sie könnten Verstärkung gebrauchen.
    Anna dachte an Maria, die Dalmonte hatte entlassen müssen. Die Magd hatte geweint, und die Köchin hatte ihr noch einen ganzen Korb Lebensmittel zusammengepackt, damit sie wenigstens ein paar Tage lang etwas zu beißen hätte. Dalmonte hatte sich, ohne jemanden anzusehen, ins Kontor zurückgezogen. Sie hörten alle, wie er die Tür ins Schloss fallen ließ und den Schlüssel umdrehte. Zweimal. Das war noch nie vorgekommen. Die Zurückgebliebenen schlichen auf Zehenspitzen durchs Haus.
    Im städtischen Kaufhaus und selbst im Filzengraben stapelte sich Ware, die schon längst bei den Adressaten hätte sein müssen, doch seit Moritz’ Tod weigerten sich Schiffsmeister, für Dalmonte zu fahren. Jeder fürchtete, seine Mannschaft würde die nächste sein, der ein Unglück zustieß. Annas Vater hatte versprochen, so schnell wie möglich nach Köln zurückzukommen und einen Teil der Ladung zu übernehmen, aber noch hatte er andere Aufträge, die erledigt werden mussten. »Unzuverlässig« war das Wort, das sich Anna von einem Kunden anhören musste, und dann kündigte er die Zusammenarbeit mit Dalmonte. Die Tür musste sie ihm trotzdem aufhalten. Unzuverlässig! Es tat ihr in der Seele weh.
    Immer mehr Kaufhändler sprangen in diesen Tagen ab, Anna war sich sicher, dass sie sich abgesprochen hatten. Vor seiner Abfahrt nach Frankfurt hatte der Spediteur sich noch überlegt, bei wem er am günstigsten Geld leihen könne, um über die Runden zu kommen, und Frau Gertrude war mit ernstem Gesicht im Kontor verschwunden, in der Hand das Kistchen, das sie kurz nach ihrer Heirat mitsamt Inhalt von ihrem Vater geerbt hatte. Damit sie überleben könne, wenn der fremde Hallodri sich eines Tages aus dem Staub mache, hatte sie einmal Anna verraten. Aber nach vierzig Jahren lebe der Hallodri noch immer hier, und sie teilten noch immer das Schlafzimmer, hatte sie kokett hinzugesetzt und dabei eine vorwitzige Haarlocke um ihre Finger gewickelt.
    Im Haus »Zum roten Schiff« hatte man begonnen, den Gürtel enger zu schnallen. Nur noch einmal in der Woche brachte die Köchin Fleisch auf den Tisch, und niemand murrte. Bonifaz verzichtete auf seinen Lohn. Solange er ein Dach überm Kopf habe, brauche er nicht mehr, hatte er erklärt, es war ihm ernst. Dalmonte hatte ihm gedankt. Fast sah es so aus, als ob ihm Wasser in den Augen stünde, aber vielleicht täuschte das zuckende Kerzenlicht.
    Â»Eines Tages werde ich dir alles zurückzahlen«, versprach er.
    Anna schüttelte den Kopf, wie um ihre Gedanken zu verscheuchen, dann griff sie nach der Tasse vor ihr, doch die Schokolade war kalt geworden, das Getränk blieb am Gaumen kleben. Von Merzen merkte es.
    Â»Ich bestelle eine neue«, sagte er und beeilte sich, die Kellnerin herbeizurufen.
    Zuerst wollte Anna ablehnen, aber dann roch sie im Geist den Duft des tief dunkelbraunen Getränks, diese süße Schwere, ein irdisches Paradies, und sie gab sich geschlagen. Von Merzen war ein aufmerksamer Mann. Sie musste es zugeben, ob sie es wollte oder nicht.
    Â»Leckermäulchen«, sagte er jetzt zu ihr. Er sagte es so liebevoll wie früher ihr Vater, wenn sie um getrocknete Feigen oder Früchtekuchen bettelte.
    Â»Lekkerbekje«, hatte der Vater gesagt und sich dann zu ihr hinuntergebückt, um ihr einen Kuss auf die Nasenspitze zu drücken. » Lekkerbekje, lust je ook groene zeep ?«
    Zum ersten Mal schaute sie von Merzen offen ins Gesicht. »Ja, für Süßes könnte ich

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