Filzengraben
sterben.«
Dann gab sie sich einen Ruck. »Könntet Ihr mir einen Gefallen tun?«
»Immer.«
»Ihr kennt doch den Wirt des Kaffeehauses hier gut. Könntet Ihr Euch bei ihm für ein junges Mädchen einsetzen, das Arbeit braucht? Die drei hier schaffen es ja kaum, und Maria ist â¦Â«, sie suchte nach den richtigen Worten. »Sie ist zuverlässig und sauber«, fügte sie trotzig hinzu.
Von Merzen wartete, dass sie weitersprach.
Da erzählte sie ihm von Dalmontes Sorgen. Zuerst sprach sie langsam, mit Pausen, in denen sie nach den richtigen Worten suchte. Ãberlegend, wie viel sie preisgeben sollte von der misslichen Lage im Haus »Zum roten Schiff«. Doch dann begannen die Sätze aus ihr herauszupurzeln. Schleusen öffneten sich. Endlich konnte sie alles herauslassen. Während sie von den Schwierigkeiten der Spedition berichtete und von den Ãngsten der Bediensteten und dass Maria möglicherweise nicht die Einzige war, die gehen musste, wurde ihr warm. Warm und leicht. Zwischendurch atmete sie tief, sie spürte ihr Herz, es pochte ruhig und gleichmäÃig. Zuletzt lehnte sie sich zurück und suchte seine Augen.
Von Merzen hatte sie kein einziges Mal unterbrochen. Jetzt griff er zu dem Becher mit hellem Rheinwein, den er zusammen mit der Schokolade für Anna bestellt hatte, und setzte ihn an die Lippen. Er trank einen Schluck und gleich noch einen, und während er den Becher zurückstellte, sagte er: »Ich werde sehen, was ich für Eure Magd tun kann.«
Dann rückte er näher zu Anna. »Aber gibt es auch etwas, das ich für Euch tun kann?«
»Für mich?«
»Wenn Ihr Frau von Merzen wäret, müsstet Ihr Euch keine Sorgen mehr machen.« Er hatte leise gesprochen, und Anna fragte sich, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Dabei hatte sie so etwas Ãhnliches erwartet. Und ein bisschen gefürchtet. Sie antwortete nicht. Es war ja auch keine Frage gewesen.
»Selbstverständlich sollt Ihr Euch bei mir auch nicht um die Spedition kümmern müssen. Eure Dienste für Dalmonte sind Euch sicher lästig.«
Sie schaute ihn erstaunt an. »Nein, wie kommt Ihr darauf? Ich arbeite gern bei Dalmonte. Er ist ein guter Mensch.«
»Aber die Kontorarbeit, Anna! Das ist doch keine Arbeit für Frauen. Euer Geist ist damit überfordert, und wenn dann erst mal Kinder da sind, würde es ihnen an der Erziehung abgehen.«
Vielleicht hatte er recht. Natürlich nicht bei der Sache mit der Ãberforderung des weiblichen Geistes. Die Vorstellung, dass die Arbeit, die sie gern machte und mindestens ebenso gut beherrschte wie von Merzen, wenn nicht sogar besser, allein schon wegen ihrer Sprachkenntnisse, diese Vorstellung, dass eine solche Arbeit einer Frau schaden könne, einem Mann aber nicht, empfand sie als so kurios, dass ihr in diesem Augenblick überhaupt nicht der Gedanke kam, darauf einzugehen. Und wie viele Kaufmannsfrauen kannte sie, die trotz Kinder ihren Männern zur Seite standen!
Aber wenn sie von Merzens Heiratsantrag, und zum ersten Mal war ihr klar, dass sich der Gedanke daran nicht mehr länger verdrängen lieÃ, wenn sie den Antrag des jungen Spediteurs also annehmen würde, könnte Herr Dalmonte Lohn und Essen für sie sparen. Vielleicht könnte er sogar ihre Kammer unterm Dach an durchreisende Handwerksgesellen vermieten und so das Loch in der Haushaltskasse stopfen. Anna zog es die Kehle zusammen, wenn sie daran dachte, das Haus im Filzengraben verlassen zu müssen.
Sie leerte die Tasse heiÃer Schokolade in einem Zug und kratzte mit dem Löffel auch noch den letzten Rest aus. Dieser Göttertrank war wie ein aufblitzender Sonnenstrahl, ihr ganzer Mund war erfüllt mit dem himmlischen Geschmack. Gab es etwas, das einen Menschen glücklicher machen könnte? Als sie von Merzens amüsiertes Gesicht sah, stellte sie die Tasse wie ertappt zurück. Sie war hin- und hergerissen. Wusste nicht, was sie von Merzen sagen sollte.
»Euer Antrag ist mir eine Ehre«, begann sie, ihre Worte bedächtig abwägend.
Wollte sie überhaupt das Kontor mit dem Wochenbett vertauschen? Im Augenblick konnte sie sich nicht vorstellen, mit diesem Mann eines Tages Kinder zu haben. Janne fiel ihr ein, die nicht schnell genug mit ihrem Jupp im stillen Kämmerlein verschwinden konnte und sich dann auf ihren Erstgeborenen freute wie ein Schneekönig. Oder wie eine
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