Filzengraben
Giacomos Handgelenk.
»Wir brauchen mehr solcher Leute«, beschwor er ihn und spuckte sein kehliges Lachen aus. »Mittelsmänner, die nicht fragen, wenn du sie belieferst. Hör dich um nach Spezereikrämern, nach Tuchhändlern. Nach Höflingen. Nenn mir Namen, ich kümmere mich dann um sie.«
Wieder lachte der Dottore, scharf und krächzend. Seine schwarzen Augen funkelten.
»Du musst weg von den Märkten, weg vom Hausierhandel. Das wird zu gefährlich. Die Leute reden. Wenn ich dagegen Bestellungen bekomme ⦠wie damals beim Weingeschäft. Ich â¦Â«
»Hat der Bastard ein Kind getötet, als er Waren besorgte?«
Giacomos Frage kam so unvermittelt, dass der Römer mitten im Satz stecken blieb.
»Wovon redest du?«
»Hat der Bastard ein Kind getötet?«
Der andere antwortete nicht. Er stand auf, und auch Giacomo war aufgestanden. Er wunderte sich, woher er den Mut nahm, dem Dottore Paroli zu bieten. Hinter dem Haus hörte er den Zwerg werkeln, vielleicht stapelte er Holzscheite gegen die Wand.
»Hier fragt nur einer, und das bin ich«, sagte der Dottore mit heiserer Stimme. Er machte einen Schritt auf Giacomo zu, seine Hand schoss vor, packte ihn an der Kehle und drückte zu. Giacomo japste. Dann lieà der Druck nach, aber der Römer hielt ihn weiter fest. Bis er Giacomo einen Stoà versetzte und dieser rückwärts gegen die Tür taumelte. Giacomo stolperte, fing sich aber wieder. Geistesgegenwärtig drehte er sich so zur Seite, dass der Sacchettino unter seinem Hemd zwischen ihn und die Wand kam. Er wusste nicht, wovor er mehr Angst hatte, dass der Römer ihn noch einmal würgte oder dass er den Geldbeutel entdeckte. In seinem Kopf dröhnte es, die Stimme des Dottore kam wie aus weiter Ferne.
»Sollte ich mich in dir getäuscht haben, Rüsca? Ich warne dich. Misch dich nicht in meine Angelegenheiten, und wenn du glaubst, du müsstest dir Mitleid erlauben, weil der Bastard vielleicht etwas grob ist, dann werden wir nicht lange fackeln. Kein Mensch wird nach dir suchen ⦠und wenn du uns verpfeifen solltest â¦Â«
Das Gesicht des Dottore schob sich ganz nah an seines.
»Damit du es weiÃt, ich habe nie etwas von einem toten Kind gehört.« Er meckerte wie eine Ziege. »Vielleicht hast du es ja selbst ins Jenseits befördert und willst es uns in die Schuhe schieben. Hüte deine Zunge, Rüsca! Du weiÃt, für Mord hängst du am Galgen. Morgen schon, wenn du möchtest. Der Bastard kennt genügend Leute, die dir gern aufs Schafott helfen.«
Der Dottore trat einen Schritt zurück und verzog bedrohlich sein Gesicht. »Du hast die Wahl: Entweder du arbeitest, ohne zu fragen, oder du bist ein toter Mann.« Er klopfte mit einem Stock an die Wand, und gleich darauf erschien das Gesicht des Alten in der Tür. Giacomo sah ihn zum ersten Mal lächeln, ein sehr sanftes, verständnisvolles Lächeln, mit dem er sich zuerst vor dem Dottore verneigte und dann Giacomo scheel beäugte. Das Männlein fuhr mit seiner rechten, flach ausgestreckten Hand wie mit einem scharfen Messer an seiner Kehle vorbei, einmal, zweimal. Dann verzog es sich wieder nach drauÃen, leise schnappte die Tür ins Schloss.
»Ich glaube, wir haben uns verstanden«, sagte der Römer und warf Giacomo ein Acht-Albus-Stück vor die FüÃe. »Ich bin ein spendabler Mensch, Rüsca, aber nütze meine GroÃherzigkeit nicht aus!«
Giacomo behielt den Dottore im Auge, als er sich bückte, um das Geld aufzuheben. Was hätte der Mann mit ihm gemacht, wenn er darauf gespuckt hätte und gegangen wäre, ohne es aufzusammeln? Es war besser, es nicht zu wissen. Er dürfte gerade noch mal mit dem Leben davongekommen sein.
Der stumme Gnom stand am Tor. Die Fichte hinter ihm hatte hellgrüne Triebe angesetzt und streckte ihre breiten Arme über die Mauer. Eine kleine Leiter war dagegen gelehnt, auf der obersten Sprosse balancierte eine Katze und beäugte, was unter ihr vor sich ging. Mit einer schnellen Bewegung wiederholte der Alte seine Geste von vorher, dann öffnete er die Pforte und lieà Giacomo passieren.
Besser Geld in der Tasche als tot im Gebüsch, dachte Giacomo, als er durch die Gärten zurück zur SeverinstraÃe ging. Man kann sich die Arbeit nicht aussuchen. Vor Sankt Magdalena, gegenüber dem Severinskirchplatz, blieb er stehen, um die Kiste
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