Filzengraben
Köchin hatte sie ihre Idee besprochen. Frau Gertrude hätte ihr Vorhaben nicht gebilligt. So etwas gehöre sich nicht für ein junges Mädchen, wie sie es war, hätte sie gesagt. Anna war sich darüber im Klaren, dass das, was sie plante, für eine Frau nicht allein ungewöhnlich, sondern sogar gewagt war und eigentlich über das hinausging, was die Schicklichkeit verlangte. Aber sie wollte sich nicht beirren lassen, und die praktische Johanna hatte ihr sofort zugeredet. Danach wusste sie, wie sie vorzugehen hatte. Es würde bestimmt klappen.
Dalmontes Abreise nach Frankfurt hatte sie auf den Gedanken gebracht. Während er neue Geschäftsverbindungen im Süden aufbaute, wollte sie versuchen, die alten in Köln wiederzubeleben. Die Voraussetzung dafür war gut: Seit dem Unglück mit Moritz war nichts mehr passiert. Vielleicht war der Spuk, wie Dalmonte es genannt hatte, ja endgültig vorbei, obwohl sie das schon einmal geglaubt hatte. Doch im Augenblick wollte sie nicht daran denken. Sie würde vielmehr alle Kunden, die ihnen die Zusammenarbeit aufgekündigt hatten, aufsuchen, und zwar höchstpersönlich.
Dalmonte hatte nicht über seinen Schatten springen können. In zwei Fällen hatte er einen Brief geschrieben und um Klärung gebeten, aber keine Antwort erhalten. Er sei doch kein Klinkenschläger, der untreuen Kunden hinterherrenne, beschied er daraufhin stolz. Anna sah das anders. Sie wollte nicht warten, bis die Herren Kaufleute sich gnädigst herablieÃen und retour schrieben. Wenn überhaupt. Sie würde bei ihren ehemaligen Geschäftspartnern vorsprechen, einfach so, unvorhergesehen, überraschend und, ja, wie Johanna ihr empfahl, mit einem liebreizenden Lächeln auf den Lippen. Kontakte mussten direkt gemacht werden, sagte sie sich. Dem anderen gegenübersitzen, ihm ins Gesicht sehen, seine Worte und Gestik erkennen, die richtigen Antworten parat haben. Dann lieÃen sich neue Verträge abschlieÃen, vielleicht sogar noch am selben Tag. Hoffentlich.
Natürlich könnte der ein oder andere Kaufmann ebenfalls nach Frankfurt oder zur Ostermesse nach Leipzig gefahren sein und wäre daher nicht im Lande, aber das würde sie erfahren, wenn Severin am Abend zurückkam. Sie hatte, um der Höflichkeit Genüge zu tun, jedem der Herren geschrieben, dass sie sie in diesen Tagen aufsuchen und mit ihnen Geschäftliches besprechen ⦠nein, nicht wolle, sondern werde. Punkt. Sie war überzeugt, dass es keiner wagen würde, ihr eine schriftliche Absage zu erteilen. Auch das verbot die Höflichkeit. Wenn sie erst einmal dort wäre, würde sie sie bestimmt überzeugen können, dass ihre Waren in gewohnter Manier sicher und sorgsam befördert würden. Auch beim Preis könnte sie ihnen ein gewisses Entgegenkommen zeigen. Ja, doch. Sie prüfte das Fähnchen auf der Rheinkarte. Ihr Vater lag vor Wesel. In wenigen Tagen wollte er in Köln sein. Und ein Freund ihres Vaters hatte versprochen, vom Oberrhein zu kommen. Ihr Traum war, wenigstens zwei oder drei Einsichtige zurückzugewinnen. Das würde reichen fürs Erste, damit käme der Warenverkehr wieder in Schwung. Alles Weitere würde sich dann von selbst ergeben.
Anna schob sich das letzte Stück Rosinenplatz in den Mund. Da ertönte das metallene Scheppern des Türklopfers, zuerst sachte, dann dreimal schnell hintereinander, kurz und bestimmt. So klopfte nur eine â Janne.
»Wenn du nicht zu mir kommen kannst, komm ich halt zu dir.«
Schon stand sie im Vorhaus, noch ein wenig blass um die Nase, aber sie strahlte übers ganze Gesicht, als sie Anna umarmte.
»Ein Nachbar hat mich heute Morgen auf seinem Fuhrwerk mitgenommen, mit ihm kann ich nachher auch wieder zurückfahren. Ich wollte dich unbedingt sehen.«
Sie nahm ihre Reisehaube ab und strich die Haare glatt. »Die Pfarrerswirtschafterin lässt dich grüÃen.«
»Die alte Hexe â¦Â«
»Sie ist keine Hexe. Vielleicht ein wenig wunderlich. Du seist so schön, sagt sie ein ums andere Mal.« Dann schaute sie sich um, ob auch sonst niemand im Raum war, der sie hören könnte, und winkte Anna ganz nah zu sich heran.
»Kannst du noch mal das Wunderwasser besorgen, das du in Mülheim gekauft hast? Dem Kleinen würde ichâs nicht mehr geben, aber ⦠es duftet so schön.«
Sie wurde über und über rot.
»Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher