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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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nickte er oder schüttelte den Kopf, als Anna von Tilmans Verschwinden sprach. Manchmal stieß er ein erstauntes »Ach!« oder »Wirklich?« aus. Alles war plötzlich ganz einfach.
    Â»Und hinter dem Ganzen steckt Farina?«, fragte er ungläubig.
    Â»Einen Beweis haben wir nicht. Noch nicht. Aber er ist der Einzige, der einen Grund hat. Und …«, sie beugte sich ein wenig vor, um nicht so laut reden zu müssen, obwohl niemand da war, der sie belauschen konnte, »… guck ihn dir doch an, diesen Farina, wie ehrgeizig er ist. Er verträgt niemanden neben sich. Herr Dalmonte tut mir leid. Er lebt in der hehren Vorstellung, dass alle Menschen aus dem Vigezzotal gute Menschen sind. Ein einziges schlechtes Wort über seine Heimat, ein einziger hinterlistiger Landsmann, und er wird krank.«
    Â»Farina, sagst du.« Von Merzen trank sein Glas in einem Zug aus und erhob sich.
    Â»Du willst schon gehen?«
    Sie gestand es sich nicht ein, aber sie war enttäuscht. Das Haus war so still, wenn Herr und Frau Dalmonte nicht da waren. Auch aus dem Hinterhaus kam kein fröhliches Schwatzen, seit Maria gegangen war und die anderen befürchteten, dass sie ebenfalls ihre Habseligkeiten zusammenpacken müssten. Selbst der Papagei hockte traurig oben im Kontor in seinem Käfig und schnarrte nur leise vor sich hin, wenn sie oder jemand anders ihm sein Futter brachte.
    Â»Ich habe noch etwas zu erledigen«, entschuldigte er sich und nahm ihre Hand. »Aber ich werde mir Farina vorknöpfen, verlass dich darauf. Gleich morgen früh gehe ich zu ihm und stelle ihn zur Rede.«
    Anna blickte von Merzen zweifelnd an.
    Â»Solange Giacomo … solange der Gängler von diesen beiden sauberen Mannskerlen nichts herausbekommt, werden wir nichts gegen Farina in den Händen haben. Vergiss das nicht!«
    Von Merzen streichelte ihr über die Wange. »Er wird einknicken. Ich bin überzeugt. Und, Anna?«
    Â»Ja?«
    Â»Nach Pfingsten wird geheiratet. Auf deinen messerscharfen Verstand will ich keinen Tag länger verzichten. Wenn ich nur daran denke, wie du Wollheim zugesetzt hast. Ich glaube fast, du hast ihn rumbekommen.« Von Merzen nahm Anna in den Arm. Das Lob tat gut, die Berührung war ihr unangenehm. Sie entwand sich ihm und öffnete die Haustür.
    Draußen auf der Straße war es laut, so laut wie sonst nur an hohen Festtagen oder in ungewöhnlich lauen Sommernächten. Menschen standen in Grüppchen zusammen, Wortfetzen flogen hin und her. Die Sonne war längst untergegangen, doch im Filzengraben lag noch spätes Abendlicht. Anna erkannte Nachbarn. Ein Trupp Wachtleute kam von Maria Lyskirchen hermarschiert und verschwand in Richtung Thurnmarkt. Irgendetwas musste passiert sein.
    Â»Tilman!«, wisperte Anna und fasste von Merzen am Arm. »Sie haben Tilman gefunden!«
    Â»Wie kommst du darauf?«
    Â»Ich weiß es nicht, ich spüre es.«
    Â»Ich muss gehen.« Von Merzen nahm Annas Hand und küsste sie. »Geh ins Haus. Leg dich schlafen. Ich komme morgen wieder vorbei.« Es klang ein wenig wie ein Befehl. Er verschwand so schnell in Auf Rheinberg, dem Gässchen gegenüber, als wollte er die Wache noch einholen. Etwas mehr hätte er sich schon für das Schicksal von Tilman interessieren können! Auf der anderen Seite, er kannte ihn ja nicht. Wenn überhaupt, hatte er ihn nur bei der Beerdigung von Moritz auf dem Elendsfriedhof gesehen, aber warum hätte er da auf einen Hausarmen achten sollen. Herr Dalmonte wäre allerdings sofort zu Pfarrer Forsbach gegangen. Tilman war zwar ein Bettler und noch dazu ein eigenwilliger, aber er war Mitglied der Pfarrei und half bei jeder Drecksarbeit.
    Â»Ich gehe zu Pfarrer Forsbach«, rief sie in die Küche, und noch bevor Johanna antworten konnte, war sie weg.
    Tilman lag, auf einem Brett aufgebahrt, auf dem kalten Steinfußboden in der Kirche. Jemand hatte ihm die Hände über dem Brustkorb gefaltet und die Augen geschlossen. Am Hals waren dunkle Würgemale zu erkennen. Die neuen Stiefel schimmerten im Schein einer Kerze. Der Luftzug, der durch die offene Eingangstür kam, ließ die Flamme unruhig auf und ab tanzen. Keiner der Kirchenbesucher, die sich um den Leichnam versammelt hatten, weinte. Aber alle standen sie still und andächtig, einige beteten oder schlugen das Kreuz. Kinder drängelten sich vor und blieben mit offenen Mündern vor

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