Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Kürten nicht das einzige Opfer ist.
Also 14 plus X.
Beeindruckend, nicht wahr? Oder für Sie vielleicht: beängstigend.
Ich weiß, das Wochenende steht vor der Tür und Sie wollen Urlaub machen, wenn ich mich nicht täusche. Aber wir sind noch nicht fertig.
Heute Abend geht es um zweierlei:
Ich zeige Ihnen, was uns verbindet, und ich zeige Ihnen gleichzeitig, was Sie zu tun versäumt haben.
Und wenn Sie anschließend noch stark genug sind – denn es wird Ihnen gar nicht gefallen, was ich Ihnen zeige –, haben Sie die Erlaubnis und die Ehre, mich weiterhin zu jagen.
Zu jagen, wohlgemerkt.
Denn fangen können Sie mich nicht.
Weil ich nicht existiere.
Wachen Sie auf, bevor Sie sterben.
Aus dem Nichts.
Der Namenlose
39.
Jetzt sah Ingo das Licht.
Die Neonröhre, die von der Decke seines Kellerverschlags leuchtete.
Er wollte sich über die Lippen lecken, doch seine Zunge zuckte zurück, denn was er gefühlt hatte, waren nicht Ober- und Unterlippe und die Schneidezähne, sondern ein schmerzender Brei aus zerfetztem Fleisch und abgebrochenen Zähnen. Zahnsplitter schwammen in seiner Mundhöhle wie verirrte Boote in einem Meer aus schorfigem, mit Blut vermischtem Speichel. Sobald er den Mund bewegte, durchzuckte ihn höllischer Schmerz, begleitet vom hässlichen Geräusch von Knochen, die sich aneinanderschoben. Vielleicht war sein Kiefer gebrochen.
Dieser verdammte Scheißkerl! , schrie es in Ingo. Er sollte für zweihundert Euro die Nacht sein Sexsklave sein, sollte ihm zu Beginn der Session einen blasen. Stattdessen war er unvermittelt hochgesprungen, hatte ihm seinen Kopf gegen den Mund gerammt, hatte ihm die Zähne zersplittert, die Lippen zerfleischt und den Kiefer gebrochen.
Ingo saß auf dem Metallstuhl, der im Betonboden verankert war. Der Stuhl, den er gut kannte. Der Stuhl, auf dem er schon andere gefesselt und missbraucht hatte – nur dass jetzt seine Hände und Füße mit Handschellen an diesen Stuhl gekettet waren.
Jenseits des Schmerzes und der Angst hatte Ingos Gehirn weitergearbeitet und jene bewundernswerte Rationalität an den Tag gelegt, die das menschliche Hirn für solche Situationen reservierte. Seine Gedanken hatten sich aufgespalten und auf drei Fragen konzentriert.
Erstens: Was würde der Kerl mit ihm machen?
Zweitens: Wie konnte er ihn dazu bringen, ihn freizulassen?
Und die dritte und wichtigste Frage: Wer war dieser Kerl überhaupt?
Der Mann, der sich Chill nannte, hatte sich nun wieder angezogen. Er saß in aller Seelenruhe vor Ingos Computer und schaute sich Bilder an. Als er sah, dass Ingo das Bewusstsein wiedererlangt hatte, drehte er sich um.
Ein dünner Blutfaden rann an seiner Schläfe und der Wange hinunter, ohne dass er es zu bemerken schien. Die Verletzung rührte sicher von dem Zusammenprall her, als er so plötzlich aufgesprungen war und seinen Kopf mit voller Wucht gegen Ingos Gesicht und die Schneidezähne gerammt hatte.
»Wer bist du?«, fragte Ingo undeutlich. Mit Blut vermischte Luftblasen blubberten zwischen seinen zerfleischten Lippen.
Der Mann stand auf, streckte seine massige Gestalt, wischte sich mit einem Finger das Blut von der Schläfe, leckte den Finger ab, zeigte ein kurzes, eisiges Lächeln und setzte dann eine Brille auf.
Eine Brille mit mattem Edelstahlrahmen.
»Wer ich bin?«, fragte er. Sein Gesicht war nun so ausdruckslos wie das einer Statue. »Dein schlimmster Albtraum.«
40.
Clara lenkte den Wagen die Turmstraße entlang Richtung Tempelhof zum LKA-Gebäude, während MacDeath die Leselampe eingeschaltet hatte und noch einmal den Ermittlungsbericht überflog.
Clara aktivierte die Freisprecheinrichtung und rief das Revier an. Die Stimme Hermanns war zu vernehmen. Es hörte sich an, als kaute er wieder einmal auf seinen geliebten Gummibärchen herum.
»Gibt’s was Neues von der Computer-Front?«, fragte Clara.
»Keine Aktivitäten«, antwortete Hermann. »Das Video des Killers macht allerdings die Runde. Wir haben es sofort bei Xenotube vom Server nehmen lassen, aber leider haben es schon wieder Hunderte von Usern kopiert und von anderen Servern aus gepostet. Das ist wie ein Virus.«
»Was macht die Presse?«, fragte Clara weiter.
»Die nervt uns. Bellmann und Winterfeld sind im Dauereinsatz. Wir haben den Fund der Leiche bestätigt, aber vom USB-Stick und allem anderen nichts gesagt.«
Clara nickte. »Das fehlte auch gerade noch.« Dann, nach einer Pause: »Was ist mit der DNA in dem Käfer?«
»Wir haben den
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