Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Eiern laufen. Und drittens«, jetzt kam der Mittelfinger, »kann das Video Ihr objektives Urteilsvermögen gestört haben. Der Killer hat Sie damit tief verletzt, so tief, dass Sie zusammengebrochen sind.« Er faltete seine großen Hände. »Das ist nicht gerade das, was man von einer rational handelnden LKA-Kommissarin erwarten würde. Schon gar nicht, wo uns die Presse mit dem Facebook-Ripper auf den Fersen ist und im Fünfminutentakt bei uns anruft.«
»Aber das ist doch nicht meine Schuld«, sagte Clara. »Ich habe diesen Kerl doch nicht gebeten, mir das Video zu schicken. Und dass ich auf so etwas nicht unbedingt beherrscht reagiere, dürfte doch wohl klar sein.« Tränen liefen ihr über die Wangen. Im selben Moment fiel ihr ein, dass es genauso wenig Winterfelds Schuld war. Und Bellmanns auch nicht.
»Das ist ja alles richtig«, sagte Winterfeld, nahm kurz ihre Hand und drückte sie fest, wieder ganz der gütige Lehrmeister. »Und ich bin der Letzte, der eine mögliche subjektive Fixierung auf den Killer als Nachteil empfindet. Denn Sie wollen ihn fassen, nicht wahr?« Er beugte sich nach vorn. »Unbedingt, stimmt’s?«
Claras Augen blickten ausdruckslos ins Leere, während der Film noch einmal in ihrem Kopf ablief. »Unbedingt.«
Eine Zeit lang herrschte Stille.
»Ist sonst noch was passiert?«, fragte Clara dann. »Ich meine, hat der Killer noch etwas gemacht?«
Winterfeld zupfte an seiner Krawatte. Dann schüttelte er den Kopf. »Derzeit ist alles ruhig. Aber ich fürchte, es ist keine wirkliche Ruhe. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.«
»Und wenn der Sturm kommt«, sagte Clara, »liege ich hier im Bett, während weitere Menschen sterben.«
Winterfeld atmete aus.
»Das Krankenhaus wird uns die Hölle heiß machen, wenn Sie jetzt hier rauswollen«, sagte er. »Sie sind bis Montag krankgeschrieben. Und als Ihr Vorgesetzter habe ich mich daran zu halten, sonst riskiere ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Außerdem will Bellmann Unruhe vermeiden. Er weiß, dass Sie die Richtige für den Job sind, aber er ist besorgt, dass die Presse Informationen über Ihren Zustand bekommt und dann darauf herumreitet.«
Claras Blick verfinsterte sich zu einem Ausdruck irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung, während in ihren Augen wieder Tränen schimmerten. »Heißt das«, fragte sie mit gepresster Stimme, »es gilt als Nachteil, wenn ich diesen Killer schnappen will?«
»Also gut.« Winterfeld seufzte. »Ich spreche mit Bellmann und beantrage, dass er Ihnen die Erlaubnis erteilt, weiter an dem Fall zu arbeiten. Ich werde ihm sagen, dass ich keine Einwände habe. Und das mit dem Krankenhaus regeln wir schon. Die Medien wissen nicht, dass Sie an dem Fall dran sind, und so wird es auch bleiben, wenn wir Glück haben.« Sein Blick schweifte noch einmal zu den Zweigen der großen Eiche vor dem Fenster. »Aber Sie müssen mir auch helfen.«
»Und wie?«
»Sie müssen mit Bellmann sprechen. Er ist gestern Nacht aus Frankfurt zurückgekommen und hat die Story mit Ihnen live mitgekriegt. Sie müssen ihn überzeugen, dass Sie die Sache psychisch und physisch durchziehen können.«
Clara schüttelte den Kopf. »Ich bin Ihnen dankbar für die Hilfe, aber ich glaube, es kostet mich mehr Energie, Bellmann zu überzeugen, als den Killer zu fangen.«
Winterfeld stand auf. »So sind die Regeln. Und er ist der Boss.« Er deutete zur Tür. »Ich kläre das mit dem Krankenhaus, und Sie sprechen mit Bellmann. Sagen Sie mir, wann Sie bereit sind, dann holen wir Sie ab.«
Clara nickte und versuchte, entschlossen dreinzuschauen, doch sie wusste, dass es nicht funktionierte.
3.
Andira Althaus, die Sünde , kam gerade vom Fitnessclub in ihre Wohnung zurück, eine WG, wo sie mit zwei Freundinnen lebte, als ihr Handy klingelte.
Ihre ganze Woche war durchgeplant wie die eines Topmanagers. Fitness, Yoga, Modeltermine für Dessous. Andira sparte auf die nächste Schönheits-OP; Körbchengröße DD sollte es demnächst schon noch werden. Sie hatte es auch schon im Escortservice versucht, im Hochpreissegment. Es war zwar erniedrigend, in irgendwelchen Fünf-Sterne-Suiten für dickbäuchige Vorstände die Beine breitzumachen, aber es gab wenige andere Jobs, wo man ohne Studium mehr als 4000 Euro verdienen konnte – pro Tag. Und die Kunden waren hundert Prozent diskret, weil sie es sein mussten. Keine Fotos, keine Filme, kein Gerede.
The Sky is the limit, dachte Andira. Sie war Miss Shebay, und die Welt stand ihr offen. Sie hatte gleich mit
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