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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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hat die Fotos dann zu Hause entwickelt, hat sie bei sich aufgehängt, hat sie sich angeschaut und dabei onaniert.« Wieder eine Pause, die in ihrer Stille bereits den nächsten Schrecken ankündigte. »Aber manchmal reichte ihm das nicht.«
    Das Bild wurde schärfer. Das Grün, das Weiß. Irgendwo war Marmor. Es könnten Blumen sein , dachte Clara. Und Stein.
    »Sie verdrängen es noch, Clara, aber Sie wissen es bereits.« Clara presste die Lippen zusammen, um nicht loszuschreien, als sie die nächsten Worte hörte. »Der Mann, den zu jagen und zu töten Sie zu Ihrer Aufgabe gemacht haben, stand auf der Beerdigung Ihrer Schwester neben Ihnen.«
    Clara spürte, dass sie das Bewusstsein zu verlieren drohte, doch das Adrenalin schoss wie Kerosin durch ihre Adern. Sie hatte die Beerdigung ihrer Schwester damals wie in Trance erlebt und den Trauergästen keine Beachtung geschenkt. Jetzt, verkrampft auf der Stuhlkante sitzend, die Finger in die Tischkante gekrallt, starrte sie so eindringlich auf das Foto, als wollte sie in den Bildschirm kriechen.
    Das Telefon klingelte.
    Laut, schrill, fordernd.
    Doch Clara hörte nur die Stimme, die immer neue Salven des Grauens abfeuerte.
    »Wo ihr Polizisten mit euren Verhörmethoden versagt, habe ich die Wahrheit ans Licht gebracht«, sagte der Killer, der sich der Namenlose nannte. »Er hat geschrien, gewimmert, gebettelt. Aber schließlich hat er geredet. Am Ende reden alle.« So etwas wie Stolz schwang in seiner Stimme mit. »Es ist wahr: Der Mann hat fast alle seine Opfer vergewaltigt, gequält und getötet. Er hat Fotos von der Beerdigung und dem Grabstein gemacht und sich später beim Anschauen der Fotos befriedigt. Doch bei einigen seiner Opfer ... wie soll ich es ausdrücken ...?« Clara merkte, dass der Sprecher gar nicht nach Worten suchen musste, sondern seinen Vortrag absichtlich in die Länge zog, um sie noch mehr zu quälen. »Bei einigen ging die Liebe ... über den Tod hinaus.«
    Clara griff instinktiv nach einem Blatt Papier und erbrach sich kurz und heftig. Dann warf sie das glitschige Papierknäuel angeekelt in den Mülleimer.
    Das Telefon klingelte noch immer, doch die Welt bestand für Clara Vidalis nur aus der Stimme und dem Bild, das immer deutlicher wurde, immer klarer, und bei dem Claras Unterbewusstsein ihr längst gemeldet hatte, was zu sehen war und was das letzte Aufbäumen der Vernunft noch gnädig vor ihr zu verbergen versuchte.
    »Er hat mir gesagt, wie er es getan hat. Dass die Toten irgendwie ... anders waren. Man konnte an verschiedenen Stellen in sie eindringen. Sie waren weicher .«
    Clara würgte noch einmal, doch es kam nichts mehr. Ihr Hirn war wie leergefegt, ihr Magen ein zuckendes Etwas in einem Säurebad, ihre Augen voller Tränen, rot und wie hypnotisiert auf den Bildschirm starrend. Sie krallte ihre Finger noch immer mit solcher Kraft in die Tischkante, dass ihre Nägel abzubrechen drohten.
    »Er hat Claudia getötet, Clara. Er hat auf der Beerdigung neben Ihnen gestanden. Und er hat sie ausgegraben und es wieder mit ihr getan. Immer wieder.«
    Clara hörte das Telefon jetzt nicht mehr. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Bild wie auf eine archaische Gottheit, lauschte auf die dämonische Botschaft aus dem Off, die wie der Bannfluch eines strafenden Gottes auf sie einhämmerte, während Wellen des Schocks sie durchrasten, als würde sie innerhalb von Mikrosekunden einschlafen und wieder aufwachen, sterben und wiedergeboren werden.
    »Das Foto, das Sie sich gerade anschauen, habe ich bei ihm gefunden. Und ich habe ihn getötet, nicht Sie.« Wieder eine der sadistischen Pausen. »Sie, Clara«, fuhr die Stimme mit plötzlicher Festigkeit fort, als wollte sie zum Finale kommen, »Sie haben nichts getan. Sie haben nur all die Jahre dort gestanden, gebetet, geweint, bereut und gehofft – vor einem leeren Grab.«
    Claras Finger krallten sich in die Tischkante. Ihre Fingernägel waren so weiß wie ihr Gesicht.
    Und jetzt sah sie das Foto.
    Die Blumen, die Kränze, die in ihrer Farbenpracht so gar nicht zur morbiden Realität und Scheußlichkeit des Todes und der Verwesung passen wollten. Die Sätze, die auf den Schleifen standen: Wir werden dich nie vergessen. Du fehlst uns. Du bist in einer besseren Welt. Deine Eltern. Deine Clara. Oma und Opa.
    Der Spruch auf dem Stein, aus der Offenbarung des Johannes.
    Ich war tot, doch siehe, ich bin lebendig.
    Claras Blick glitt weiter über das Bild, das jetzt in detaillierter Schärfe zu

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