Final Cut - Etzold, V: Final Cut
rettete.
Das darf nicht geschehen, beschwor Clara sich. Du musst es zu Ende bringen, oder du wirst dich nie mehr im Spiegel anschauen können.
Sie musste alle davon überzeugen, dass sie die Richtige für diesen Job war. Sie musste deutlich machen, dass die Tatsache, dass es hier um etwas Persönliches ging, die Sache eher einfacher als komplizierter machte. Rache war wie Feuer. Eine saubere Sache. Einer schlägt, der andere schlägt zurück. Genauso hart oder noch härter. Aber dazu brauchte man Kraft. Clara musste diese Kraft wecken und einsetzen. Die Kraft, Bellmann zu überzeugen. Die Kraft, ihr Trauma in zwei Stunden zu überwinden statt in zwei Jahren. Die Kraft, wieder an sich selbst zu glauben.
Sie blickte zum Gekreuzigten. Sag mir, dass ich stark sein kann, flüsterte sie und schloss die Augen.
Und allmählich formten sich Bilder heraus. Bilder, die nur acht Tage alt waren. Es war der bisher schrecklichste Tag in Claras Karriere bei der Polizei gewesen, doch am Ende war es ihr größter Triumph.
Sterben und auferstehen.
***
Die Bilder wurden deutlicher.
Clara lag auf dem Boden. In sechs Metern Entfernung von ihr das Gesicht des Werwolfs. Die Augen dunkel vor Hass. Marc und Philipp hatten sich am Eingang postiert. Clara lag auf dem Teppich. Auf einem umgekippten Stuhl vor ihr ruhte die Heckler & Koch PSG1, die sie einem der MEK-Beamten abgenommen hatte, nachdem der Werwolf ihm die Nase gebrochen und beinahe den Kehlkopf zerschmettert hatte. Ihr rechter Zeigefinger lag am Abzug, und der Laserpointer des Zielfernrohrs wies direkt auf die Stirn des Psychopathen. In der Finsternis seiner Augen blitzte eine destruktive Energie, die ebenso hell zu leuchten schien wie das Licht des Lasers.
Clara hatte ihn im Visier. Doch er hatte eine Geisel. Eine der beiden Frauen. Die, die noch am Leben war.
Clara hatte hinterher erfahren, was sich in der Wohnung zugetragen hatte. Das letzte Opfer des Werwolfs. Es war ein lesbisches Paar gewesen. Dass Frauen sich miteinander vergnügten, während er leer ausging, musste in Bernhard Trebcken eine grauenvolle Raserei der Blutlust und der Zerstörungswut ausgelöst haben. Er hatte eine der beiden Frauen gefesselt, die andere vor den Augen ihrer Partnerin mehrmals vergewaltigt und ihr anschließend mit einer Geflügelsäge die Halsschlagader durchgeschnitten. Dann hatte er – wieder vor den Augen der vollkommen traumatisierten Partnerin – die Leiche des ersten Opfers mit einer Axt in Stücke gehauen.
Clara schätzte die Distanz ab, die Jäger und Gejagten trennte, während der Geruch nach Blut und Tod, den sie so gut kannte und fürchtete, in der Luft hing, dieser Geruch nach Angst, Schmerz und Innereien.
Der Geruch des Bösen.
Abgetrennte Gliedmaßen, Füße, Hände und der Kopf des ersten Opfers lagen auf dem Teppich. Überall waren Blutspritzer. Direkt vor Clara lag ein Finger. Sie erkannte den Nagellack. Dunkelviolett mit weißen Blitzen. In einem Studio gemacht , dachte sie. Sie wischte den Gedanken beiseite. Ihr Blick huschte weiter über den blutgetränkten Teppichboden, über die Beine der zitternden Geisel, über Trebckens rechte Hand, die die blutige Geflügelsäge umklammerte, und weiter nach oben bis zu den dunklen Augen voller Hass, die sie penetrant anstarrten wie die Augen eines Toten.
Der Werwolf saß auf dem Boden, die Überlebende der beiden Frauen neben ihm. Die Hände gefesselt, den Mund mit silbernem Isolierband geknebelt. Die linke Hand in die Haare der Frau gekrallt, zog er ihren Kopf mit brutaler Gewalt nach hinten, wobei er ihr die Geflügelsäge an den Hals drückte, den Finger am Einschaltknopf. Die Frau blutete aus zahlreichen Wunden an den Beinen, die Trebcken ihr beigebracht hatte, um zu zeigen, dass er es ernst meinte.
»Nimm die Waffe runter, Schlampe«, schrie er nun Clara an, »oder ich säg ihr den Kopf ab!« Er drückte die Geflügelsäge an den Hals der totenblassen, zitternden Frau.
Clara versuchte, den Blick der Frau auf sich zu ziehen. Sieh mich an, nicht dieses Monster. Sieh mich an. Tatsächlich blickte die Frau zu ihr. Alles Vertrauen, alle Hoffnung, aller Glaube an das Gute war aus ihren Augen gewichen.
»Lassen Sie die Säge fallen, Trebcken, und Ihnen passiert nichts«, sagte Clara.
Der Werwolf spuckte angewidert aus und drückte die Säge fester gegen die Halsschlagader der bebenden Frau.
»Fick dich, du Miststück! Verschwinde, oder ich mach die Schlampe alle.« Speichel rann seine Mundwinkel hinunter. Das Zittern
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