Final Cut - Etzold, V: Final Cut
verständnislos hinterher. »Was war das für ein komisches Video? Das klang ja unheimlich.«
»Halt’s Maul«, sagte Torino und sammelte seine Kleidungsstücke zusammen.
»Ich dachte, wir würden jetzt schön frühstücken gehen. Hast du mir gestern versprochen.« Sie zog einen Schmollmund. »Und sag nicht immer ›halt’s Maul‹ zu mir.«
»Halt’s Maul.«
Er hüpfte auf einem Bein mit der halb angezogenen Hose zu seinem Schreibtisch, steckte seinen Bluetooth-Ohrhörer ins Ohr und wählte die Nummer von Andira.
Nur die Mailbox.
Dann die Nummer von Myers.
Nur die Mailbox.
Er hinterließ beiden eine kurze Nachricht, dass sie ihn so schnell wie möglich zurückrufen sollten.
Und spürte, dass irgendetwas nicht gut gelaufen war.
Gar nicht gut.
***
Vladimir schaute auf die zwei Handys, die beide nacheinander geklingelt hatten.
Dann blickte er in den Nebenraum, in dem Andira gefesselt auf dem Stuhl saß.
Und dann schaute er hinter sich, wo Tom Myers mit gebrochenem Genick in der Ecke lag, die weißlichen Augen leer und glanzlos zur Kellerdecke gerichtet.
Vladimir lächelte. Kalt und gefühllos wie eine Echse.
Der Plan war fast vollendet.
Zeit für das Finale.
9.
Claras Handy klingelte. Es war Albert Torino.
»Warten Sie unten«, sagte sie, »jemand bringt Sie nach oben in den vierten Stock.«
Im vierten Stock, in der IT-Abteilung des LKA, herrschte nackte Verzweiflung. Hermann und die Computerexperten hatten herausgefunden, dass der Killer auf irgendeine Weise an den Code gekommen war, mit dem man Dateien direkt auf der Landing Page von Xenotube platzieren konnte. In dem Video war von einem Tom Myers die Rede gewesen, der angeblich »auch da war«. Tom Myers war Managing Director bei Xenotech, hatten sie herausgefunden, und hielt sich zurzeit tatsächlich in Berlin auf, wie eine rasche Überprüfung bei den ortansässigen Fünf-Sterne-Hotels ergeben hatte. Vielleicht hatte der Killer den Mann entführt und gezwungen, den Code herauszugeben. Dann hatte er einen Trojaner auf dem Xenotube-Server installiert, der über einen Tunnel die Verbindung aufrechterhielt. Die einzige Möglichkeit, das Video von der Seite zu bekommen, bestand darin, den Hauptserver von Xenotech in Palo Alto, Kalifornien, abzuschalten und die Seite eine Zeit lang vom Netz zu nehmen.
Bellmann war jetzt selbst in den Fall involviert und telefonierte mit dem BKA in Wiesbaden, um über Interpol eine Sperrung der Website in den USA zu erwirken. Denn mit dem Tunnel und dem Trojaner konnte der Killer weitersenden und weitere Filme platzieren.
»Wir müssen das Ding sofort vom Netz nehmen«, hatte Bellmann in den Hörer gebrüllt, als er mit dem IT-Experten des BKA telefoniert hatte. »Zur Not scheuchen Sie die Botschaft auf oder den Außenminister, aber es kann nicht angehen, dass dieser Perverse seine Videos für Millionen Nutzer sichtbar präsentiert und wir nichts dagegen tun können!«
»Wir sind hier nicht in China«, hatte der IT-Experte zurückgeblafft, »wo die Regierung mal eben alles abschalten kann. Und die Server sitzen in Kalifornien. Wissen Sie, wie spät es da jetzt ist? Kurz vor acht Uhr morgens an einem Samstag. Eine tolle Zeit, um irgendetwas zu bewegen.«
»Der Typ ist schlau«, hatte Clara gesagt. »Er hat sich genau die richtige Zeit ausgesucht. Er nutzt die Ferne und handelt aus der Nähe.«
»Ich denke auch, er ist hier irgendwo in Berlin«, hatte Winterfeld erklärt. »Er ist nicht in Russland oder China. Er kennt sich bestens mit den lokalen Gegebenheiten aus, er ist mobil und weiß genau, wie lange er braucht, um von A nach B zu kommen. Er hat diese Andira höchstwahrscheinlich entführt und bereitet das große Finale vor. Und was das ist, wollen wir uns lieber nicht ausmalen.«
Die Tür öffnete sich, und ein untersetzter Mann mit gegelten, zurückgekämmten Haaren betrat das Zimmer, gefolgt von einem Polizisten. Sein braun gebranntes, unrasiertes Gesicht war blass, und seine Augen waren klein vor Müdigkeit und zugleich vor Schreck geweitet, was ihm ein groteskes Aussehen verlieh.
»Sie sind Albert Torino?«, fragte Clara.
»Allerdings«, sagte der Mann und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Er war offenbar die Treppen im Eiltempo nach oben gerannt, anstatt den Aufzug zu nehmen. Clara roch Reste von Alkohol.
»Was will dieser Perverse?«, fragte Torino. »Was wissen Sie über ihn? Und warum entführt er Andira?« Er rieb sich übers Gesicht. »Wie hat er sie überhaupt
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