Final Cut - Etzold, V: Final Cut
das er nicht abgestellt hatte, aus einem bleiernen, verkaterten Schlaf weckte.
Er lag neben einer jungen Dame in seinem großen Wasserbett. Eine leere Champagnerflasche und ein Aschenbecher voller Kippen lagen auf dem Boden. Dem Licht draußen nach zu urteilen, musste es später Nachmittag sein.
Sie waren im Grill Royal gewesen und dann noch in zwei Clubs, hatten sich mit ein paar Mädchen vergnügt und ordentlich auf das gelungene Debüt von Shebay angestoßen. Torino hatte sich erst geärgert, dass Myers sich nicht mehr gemeldet hatte, doch irgendwann war er betrunken genug gewesen, dass ihm auch das egal war. Sie hatten eine Million Zuschauer gehabt. Am ersten Abend. Das war ein Killer-Ergebnis. Ob mit oder ohne Xenotube.
Das Handy klingelte penetrant weiter. Torino trank den letzten Rest Champagner aus dem Glas auf dem Nachttisch, um seinen Mund zu befeuchten. Seine Zunge klebte wie ein vertrockneter Fisch am Gaumen. In seinem Rachen war ein Geschmack, als hätte jemand seinen Mund über Nacht als Toilette zwischenvermietet, und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er gerade in eine Unterdruckkammer gesteckt worden.
Ein wenig blöde schaute er auf das noch immer klingelnde Handy und dann auf die junge Frau, die jetzt ebenfalls wach wurde. Wie hieß sie noch mal? Monique oder so ähnlich. Er würde ihr gleich bei Starbucks einen Kaffee und einen Muffin ausgeben, sie dann wegkomplimentieren und so schnell wie möglich mit Myers sprechen. Vielleicht war es ja sogar Myers, der ihn gerade anrief.
Doch die Nummer im Display kannte er nicht.
»Hallo«, sagte Torino.
»Guten Tag, hier ist Clara Vidalis vom LKA Berlin, Kriminalpolizei. Spreche ich mit Albert Torino von Integrated Entertainment?«
Er war schlagartig hellwach.
Monique, oder wie immer sie hieß, war jetzt ebenfalls wach geworden. »Was ist los?«, fragte sie. »Wer ist das?«
»Halt’s Maul«, zischte Torino.
»Was sagten Sie?«, fragte die Stimme am anderen Ende.
»Nichts, nichts ...«, sagte Torino. »Hier ist noch jemand.« Dann, nach einer Pause: »Wie war gleich der Name?«
»Clara Vidalis, Hauptkommissarin, LKA Berlin«, wiederholte die Stimme ein wenig genervt. »Ich arbeite in der Mordkommission, Abteilung für Pathopsychologie.«
Torino fühlte einen Stich. »Habe ich etwas verbrochen?«
»Sie nicht, aber jemand anders. Sagt Ihnen der Name Shebay etwas?«
»Was soll diese Frage?« Torino setzte sich aufrecht. »Das ist meine Erfindung!«
»Wussten Sie, dass es eine Fortsetzung gibt?«, fragte die Kommissarin. »Und zwar heute? Auf der Landing Page von Xenotube?«
Torinos Augen leuchteten auf. Er verstand zwar nicht, warum ihn deswegen ausgerechnet die Polizei anrief, aber vielleicht hatte Myers endlich getan, was er tun sollte. Vielleicht hatte er Teile aus der Sendung auf der Landing Page platziert, und jemand hatte sich wegen Verletzung der Moral oder irgendwelchem Schwachsinn bei den Bullen beschwert. Trotzdem seltsam, dass Myers die Sache nicht mit ihm, Torino, abgestimmt hatte. Und noch seltsamer, dass ausgerechnet die Mordkommission anrief.
»Auf der Landing Page von Xenotube?«
»So ist es«, sagte die Stimme. »Bis jetzt haben vier Millionen Menschen das gesehen. Fast so viele wie beim Dschungelcamp .«
»Äh ... ist doch toll.«
»Ich bezweifle, dass Sie das toll finden werden«, sagte die Kommissarin. »Jedenfalls nicht mehr, sobald Sie es sehen.«
Torino stand auf und eilte mit ungelenken Schritten zu seinem Schreibtisch, auf dem sein iPad lag. Er öffnete Xenotube. Es war tatsächlich auf der Landing Page. Er sah das Video. Hörte die Stimme, die aus dem Off erklang – und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich übergeben.
Er sah sein Gesicht, das sich in der schwarzen Scheibe des iPads spiegelte. Leichenblass. »Scheiße!« Ihm war, als würde sein Magen auf die Größe einer Erbse schrumpfen.
»Haben Sie’s gesehen?«, fragte die Kommissarin.
»Ist das Andira?«, fragte Torino anstelle einer Antwort. »Die Stimme kam mir bekannt vor.«
»Gut möglich.«
»Verdammt noch mal, wer macht so was?«
»Wir hatten eigentlich gehofft, das von Ihnen zu erfahren.« Als keine Antwort kam, fuhr die Kommissarin fort: »Das macht jemand, der gefährlich ist. Sehr gefährlich.« Eine Pause am anderen Ende. »Wann können Sie hier sein? LKA, Tempelhofer Damm zwölf. Rufen Sie mich auf dieser Nummer an, sobald Sie hier sind.«
»Zwanzig Minuten«, keuchte Torino und stürzte ins Bad.
Monique blickte ihm
Weitere Kostenlose Bücher