Final Cut - Etzold, V: Final Cut
würde. Oder vielleicht existierte er gar nicht. Vielleicht war er so unsichtbar wie die U-Bahn, wenn sie im Untergrund fuhr, wie der Schwarze Mann, der unter dem Bett lag und nur in der Nacht hervorkam. Der in der Dunkelheit lebte und als Teil der Nacht in unseren Albträumen erschien. Vielleicht war er der Teufel selbst.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte Clara.
Hermann drückte auf den Play-Button.
Der Bildschirm war schwarz, während aus dem Off eine dunkle Stimme ertönte.
»Ich habe mir erlaubt, Ihnen, Clara Vidalis, wieder eine Kostprobe meines Könnens zu zeigen. Und Ihnen, Torino, Sie Drecksack, habe ich Ihre Sendung und Ihren Star weggenommen. Denn jetzt kommt die Shebay -Erwachsenenversion.«
Es war die verzerrte Stimme, die Clara schon am gestrigen Abend gehört hatte. Sofort war das alte Grauen wieder da, stärker als zuvor.
Die Stimme sprach weiter. »Für Sie, Torino, ist es Geldmacherei, für mich ist es ein heiliges Opfer, das der Welt das Finale zeigen wird. Den Abschluss meines Werkes.«
Jetzt war ein Bild zu sehen. Ein dunkles Kellergewölbe mit feuchten Steinen, von einer schummerigen Neonlampe beschienen. Irgendjemand saß dort auf einem Stuhl. Gefesselt. Eine Frau, Mitte zwanzig, mit einer Figur wie ein Model. Sie trug ein weißes Kleid.
Julia Schmidt hat auch so ein Kleid getragen.
Über den Kopf der jungen Frau war eine Art Kappe aus Stoff gezogen. Sie gab erstickte Geräusche von sich wie jemand, der durch einen Knebel zu sprechen versucht.
»Du darfst jetzt etwas sagen«, erklärte die Stimme, und die Kamera schwenkte zur Decke. Die Neonlampe war zu sehen. Und moderige, feuchte Steine.
»Ich werde hier festgehalten! Ich weiß nicht, wo ich bin!«, schrie die Frauenstimme. »Ich bin Andira Althaus, der Star aus Shebay . Helft mir! Holt mich hier raus! «
»Sie werden dich rausholen«, sagte die Stimme aus dem Off, während die Kamera immer noch die düstere Kellerdecke zeigte, »aber sicher nicht so, wie du es willst.«
»Tom Myers hat mich angerufen«, rief Andira. »Myers, können Sie mich hören?« Und dann, noch schriller: »Wo ist er? WO IST ER?«
»Tom Myers?«, sagte die dunkle Stimme. »Oh, der ist hier.«
Ein Geräusch war zu hören wie von einer Tür, die sich öffnete. Dann ein schriller Schrei der jungen Frau, gefolgt von dem würgenden Geräusch, das entsteht, wenn jemand einen Knebel in den Mund gestopft bekommt.
»Für alle Shebay -Freunde«, sagte die verzerrte Stimme. »In einer Stunde folgt die Fortsetzung. FSK 18!«
Der Bildschirm wurde schwarz.
***
Clara musste sich setzen.
Sie musste an die Worte denken, die ihr der Killer in der ersten Mail gesandt hatte. Es war am Donnerstag gewesen, doch es kam ihr vor, als wäre es Jahre her.
Wo die anderen Schatten sind, da bin ich die Nacht.
Wo die anderen Mörder sind, da bin ich der Tod.
» Wie viele Leute haben das Video schon gesehen?«, fragte sie.
»Vier Millionen«, sagte Hermann. »Es ist die deutsche Landing Page von Xenotube, dem größten Videoportal der Welt. Und wenn wir davon ausgehen, dass das Video kopiert und noch woanders gepostet wird, sind es wahrscheinlich sehr viel mehr.«
Clara stützte den Kopf in die Hände und rieb sich die Stirn. »Das ist der absolute Super-GAU. Jeder sieht, was dieser Kranke macht, und wir wissen immer noch nicht, wer er ist.«
Dafür kannte jetzt jeder Claras Namen. Genau das, was Bellmann unbedingt verhindern wollte.
Hermann und Winterfeld schauten sich ratlos an.
»Bellmann hat das noch nicht gesehen?«, fragte Clara.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Hermann. »Der ist eher unverdächtig, sich solche Seiten anzuschauen. Lenkt ihn nur ab.«
»Haben wir die IP-Adresse, von der aus er gesendet hat?«
»Wir sind dran, haben bisher aber nichts. Könnte verschlüsselt sein.«
»Wie zum Teufel ist er auf die Landing Page gekommen?«
Wieder resigniertes Schweigen.
»Und wer ist dieser Torino?«, fragte Clara. Sie hatte sich sofort den Namen notiert.
»Er hat gestern diese Sendung moderiert, Shebay «, sagte Hermann. »Hab kurz reingezappt. Eine ziemlich geschmacklose Castingshow. Die Brutalo-Version von DSDS .«
»Ich brauche die Nummer von dem Mann«, sagte Clara. »Festnetz und Handy. Und die Adresse. Firma und privat. Sofort.«
»Wenn alle Jobs so einfach wären«, sagte Hermann und hackte die Anfrage in eine Datenbank ein.
8.
Albert Torinos Kopf schien die Größe eines Einbauschranks zu haben, als ihn das penetrante Klingeln seines Handys,
Weitere Kostenlose Bücher