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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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MacDeath sich zu Wort. »Haben wir nicht. Wenn man zu sterben droht und nur ein einziges Gegengift hat, sollte man sich nicht über die Farbe der Pillen streiten.«
    »Ich sag ja gar nichts mehr«, lenkte Winterfeld ein. »Sie fahren los. Ich halte hier mit MacDeath die Stellung.« Er schaute Clara an, wieder der gütige Lehrmeister. »Seien Sie vorsichtig, klar, Señora? Auch wenn der Killer sicher nicht im Kinderheim aus dem Schrank kommt – eigentlich hat Bellmann von Ihnen erwartet, dass Sie sich in Ihrem Zustand nicht von hier wegbewegen.«
    Clara lächelte und erhob sich. »Wenn wir Glück haben, bewegt sich nur das Auto.« Sie zog ihren Mantel an und steckte ihre Waffe ins Holster. »Ich rufe sofort an, wenn ich Neuigkeiten habe. In vierzig Minuten sollte ich wieder hier sein.«
    »In Ordnung«, sagte Winterfeld. »Wenn es sein muss, rufen Sie gern eher an.«
    Sie zwinkerte ihm zu, ging in die Tiefgarage, verließ das LKA über einen Hinterausgang und fuhr den Tempelhofer Damm Richtung Süden, während sie die Meute der Reporter und Berichterstatter sah, die sich vor dem Haupteingang drängte.

12.
    Die Journalisten und Reporter vor dem Eingang des LKA noch immer vor Augen, fuhr Clara den Tempelhofer Damm nach Süden. Auch wenn die Presse auf manchen Missstand, den die Politik verdrängte, hinwies, was der Arbeit der Polizei oft zugutekam, so fand Clara eines doch immer wieder merkwürdig: Bei einem medienwirksamen Verbrechen waren sie alle zur Stelle und erwarteten Lösungen, schnelle Lösungen. Doch die Tausende von Opfern anderer Krimineller, die auf weniger spektakuläre Art und Weise umgekommen waren wie die Opfer des Namenlosen, oder die, die ein Leben in Angst und Paranoia führten, weil sie mit dem nächsten, diesmal tödlichen Schlag rechneten – all diese Opfer waren der Meute dort vor der Tür offenbar herzlich egal.
    Ein Toter ist eine Tragödie , hatte Stalin gesagt, eine Million Tote reine Statistik.
    Dass die Polizei nicht als »Freund und Helfer« gesehen wurde, hatte Clara schon früh erkannt – genauso wie die Tatsache, dass nicht nur die Verbrecher ihre Feinde waren, sondern gewisse Vertreter aus Justiz und Politik. Ein Polizist, der einen gewalttätigen Demonstranten bewusstlos schlug, erregte mancherorts mehr Empörung als drei cracksüchtige Wiederholungstäter, die ein junges Mädchen vergewaltigten und auf einem abgelegenen Feldweg aus dem Auto warfen.
    Warum waren Justiz und Politik niemals auf ihrer Seite? War es eine perfide Faszination der Mächtigen an der Grenzüberschreitung, wie man sie schon bei den reichen Baronen in den Erzählungen des Marquis de Sade lesen konnte? Je schlimmer und brutaler die Straftat, desto unwahrscheinlicher war es, dass sie bestraft wurde, als wäre die Gesellschaft ein überdimensionales Snuff Movie oder Horror-Porno, den sich die Mächtigen sabbernd vor Geilheit und obszöner Gier anschauten, während ihr Tatendrang, das Verbrechen zu bekämpfen, sich nur auf unbedeutende Vergehen richtete. Die Autos des Normalbürgers waren voller Feinstaubplaketten, Umweltzonenausweise, Parkzonenausweise, automatischer Parkgebührenabrechnungskarten und anderer Kontrollmechanismen, bei denen jedes Falschparken sofort geahndet wurde, doch der wiederholungsgefährdete Kinderschänder wurde in Freiheit entlassen, weil er sich weigerte, sich einer stationären psychologischen Behandlung zu unterziehen, sodass die Polizei gezwungen war, ihn rund um die Uhr zu observieren – was mehr Geld kostete, als das Leben, die Freiheit und die Rechte von einem Dutzend Kinder zu schützen. Shakespeare hatte von der Welt als Bühne gesprochen. Heute war die Realität manchmal ein Echtzeit-Dschungelcamp des Todes.
    Warum die da oben das Verbrechen lieben?, hatte Winterfeld einmal über die Politik und die Justiz gesagt, als er ein paar Glas Rotwein zu viel getrunken hatte. Ganz einfach. Weil sie selbst Verbrecher sind.
    Doch auch deren Welt war in Gefahr, wie das Beispiel Berlins zeigte. Denn Feuer diskriminierte nicht. Es verbrannte alles, was brennbar war. Und die Brände wurden größer. Es war eine Welt, die allmählich aus den ohnehin hochexplosiven Randbezirken überkochte und in das bürgerliche Berlin-Mitte eindrang. Denn so, wie die Gewalt und das Verbrechen aus dem Süden der Stadt und aus Neukölln nach oben stiegen wie eine von fauligen Gasen aufgeblähte Wasserleiche, so drang aus Wedding die gleiche Bedrohung herab, sickerte nach unten, wie das Blut eines Erstochenen

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