Finale auf Föhr
lebhaft, fast unglaublich, dass sie eine Frühgeburt war.« Den Namen seiner Tochter sprach er englisch aus: Käffrien !
»Ja, diese Energie müsste man selbst noch mal haben«, erwiderte Carl, »wir haben ja auch Kinder und kennen das. Die sind jetzt allerdings schon fast erwachsen.« Er bewegte probehalber den linken Arm. Schmerz! Aber zu ertragen. Franz Branntwein würde helfen. »Geht schon, ist nichts passiert. Es sind sowieso mal wieder einige Schlickpackungen und Massagen fällig.«
Im Weitergehen machten sie sich miteinander bekannt. Caroline und Matthias Schweiger kamen aus Hamburg. Er war Historiker mit einer zeitlich befristeten Stelle an der Universität Hamburg. Sie, geborene Engländerin, arbeitete seit Anfang diesen Jahres wieder halbtags in einer Im-und Exportfirma. Catherine – Käffrien! – kannte er ja schon. Allerdings.
Caroline war zum ersten, ihr Mann zum zweiten Mal auf Föhr. Wie es sich herausstellte, waren sie gerade erst am Samstag auf der Insel eingetroffen. Richtig, Bettenwechsel! Ein großzügiges Appartement in Wyk direkt am Südstrand, mit herrlichem Blick.
»Ich werde nicht so viel von meinem Urlaub haben«, sagte Schweiger, »eigentlich muss ich hier noch jede Menge recherchieren für meine Doktorarbeit, damit ich bald zu Ende komme. Im Frühjahr hatte ich schon erste Interviews mit Zeitzeugen, und da habe ich auch schon für diesen Aufenthalt ein paar Gesprächstermine klargemacht. Gestern Abend hatte ich gleich mein erstes Interview.«
»Worüber schreiben Sie denn genau?«, fragte Renata, die sich bis jetzt nicht weiter in das Gespräch eingeschaltet hatte. Als Historikerin interessierte sie das natürlich besonders. Außerdem – vielleicht passte das Buch ja ins Verlagsprogramm?
»Ich hab früher mehr so englische und amerikanische Geschichte des 19. Jahrhunderts gemacht.«
Aha. Männer machen Geschichte, dachte Carl gehässig.
»Jetzt ist mein Schwerpunkt Zeitgeschichte«, erklärte Schweiger. »Aktuell hab ich mich auf Kriegsgeschichte spezialisiert. Krieg ist ja wieder im Kommen.«
Unwillkürlich nickte Carl. Ja, Krieg war wieder im Kommen, und nicht nur als Wissenschaftsthema. Die Wirkung der grausamen Impfung des deutschen Volkes durch die beiden Weltkriege schien nachzulassen. Und die ehemaligen Gegner forderten heute mehr aktiven Kampfeinsatz der Deutschen. Verständlich, sie wollten nicht allein bluten. Deutsche Familien konnten sich schon einmal an den Gedanken gewöhnen, dass auch sie wieder um gefallene Angehörige trauern durften.
Schweiger setzte fort: »Ich schreibe über Schleswig-Holstein im Zweiten Weltkrieg, unter besonderer Berücksichtigung des Lebens auf den nordfriesischen Inseln. Hochinteressant! Die Archivlage ist gar nicht schlecht, vor allem nicht, nachdem man jetzt an diverse britische Geheimakten herankommt. Vor vier Monaten erst war ich in London. Da hab ich Etliches ausgegraben, was noch keiner bei uns gesehen, geschweige denn ausgewertet hat. Aber ich will auch Aussagen von verschiedenen Zeitzeugen einbauen, deutschen und englischen. Da heißt es, jetzt oder nie, langsam sterben die aus. Und hier finde ich die sogar im Urlaub«, schloss er begeistert.
Nur kein Neid, mahnte Carl sich selbst, und gab Schweiger den Tipp, doch auch die Eltern ihrer Quartiersgeberin anzusprechen. Er würde das gern vermitteln. Die beiden Bauersleute waren beredte Quellen über die Geschichte der Insel im Krieg und in der Nachkriegszeit. Es war an der Zeit, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Denn bald würde man keine Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges mehr antreffen. Dann würden nur noch die History Channels, die Guido Knopps und Dokudramatiker dieser Welt das Sagen haben mit ihrer zielgruppengerecht komponierten historischen Häppchenkost.
Schweiger erzählte weiter begeistert von seinem Dissertationsprojekt, nur hin und wieder unterbrochen von gezielten Fragen Renatas. Angeregt fachsimpelnd fielen die beiden etwas hinter der Wattwanderergruppe zurück.
»Aber jetzt, Catherine«, Carl beugte sich ein wenig hinunter zu dem Mädchen, das an der Hand seiner Mutter ging und vertrauensvoll auch seine Hand ergriffen hatte, »möchte ich gern wissen, wer der Schiff-Mann ist und was er dir getan hat!«
»Der Schiff-Mann, das ist ein ganz gemeiner, böser Mann«, sagte Catherine mit kindlichem Ernst. »Ich wollte nur gucken, wie er das Schiff steuert, und bin auf eine Bank raufgeklettert. Und da ist er gleich zu mir hingelaufen und hat ganz laut geschimpft
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