Finale Mosel
fragte er, als Gabi per Fernbedienung ihren Roadster aufschloss.
»Ich möchte später gleich nach Hause. Du kannst aber auch …«
»Ist schon gut.« Walde stieg ein und versuchte vergeblich, den Sitz weiter zurückzuschieben, während sich das Verdeck knapp über seinem Kopf nach hinten öffnete. Die Sonne blendete und gleichzeitig zerzauste der Wind seine Haare. Gabi nahm die Sonnenbrille vom Innenspiegel. Er hielt sich eine Hand über die Augen und war über eine herannahende größere Wolke erleichtert. Gabi ließ das Verdeck des Wagens offen, als sie ihn neben dem Amphitheater abstellte.
Vor dem Tor standen brennende Kerzen vor einem gerahmten und mit einem Trauerflor versehenen Bild René Tiefenbachs. Darüber steckten kleine und größere Blumensträuße zwischen den Metallgittern. Ein Fotograf kniete wie zum Gebet nieder und hielt seine Kamera mit ausgestreckten Armen über das Pflaster, um die Szenerie aus der Froschperspektive festzuhalten.
Eine kräftige Windböe wirbelte den Staub vom Weg auf, der in die Arena führte. Besucher hatten heute keinen Zutritt. Nur Akteure der Antikenfestspiele und Polizisten durften an dem bärtigen Mann am Kassenhäuschen vorbei. Die Musik war erst zu hören, als sie die Arena erreichten und die Bühne in ihr Blickfeld rückte. Vor der Bühne nahmen Musiker die gesamte Breite ein. Ihre sommerliche Freizeitkleidung irritierte Walde, der ein Orchester nur mit feierlicher Garderobe verband. Viele trugen Hüte als Sonnenschutz, manche hatten sich Handtücher über den Kopf gelegt. Selbst der Dirigent trug einen hellen Strohhut, der so gar nicht zu der schwermütig klingenden Musik passte.
Walde blieb stehen und lauschte den Frauen, die auf der Bühne hingebungsvoll sangen und dabei kein Problem hatten, ihre Stimmen gegen die hundert Musiker des Orchesters zu Gehör zu bringen.
Es war heiß. Ich hätte etwas Leichteres anziehen sollen, dachte Walde. Schweiß lief ihm über die Schläfen. Er entdeckte Kehlheim, der auf einem Platz in den unteren Reihen der Zuschauertribüne saß. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und die Augen geschlossen.
Wieder trieb ein Windstoß eine Staubwolke durch das Rund des römischen Theaters. Hier und da wurden Notenblatter festgehalten.
Der Dirigent hob beide Arme. Die Musik brach ab. Walde sah, dass er keinen Taktstock benutzte. War das nur in den Proben so oder benutzte er auch keinen bei der Aufführung?, fragte sich Walde. Kehlheim schritt zur Bühne. Er nickte dem Dirigenten und den Musikern zu, die bereits ihre Instrumente in die Koffer packten. Auf dem Klavier erklangen ein paar Akkorde, dann fiel eine weibliche Stimme ein.
»Herr Kommissar?« Walde wurde am Ärmel seines Hemdes berührt. »Ich muss Sie dringend sprechen!«, sprach ihn ein Mann mit nach hinten gekämmtem dunklem Haar an. Unter der Unterlippe trug er ein Bartviereck, es sah aus, als sei Chaplins Bärtchen unter den Mund gerutscht. »Mein Name ist Dr. Hans-Peter Muth.«
»Was gibt es?«, fragte Walde, dem Menschen suspekt waren, die sich mit akademischem Titel vorstellten.
»Ich geh’ schon mal vor.« Gabi trabte weiter Richtung Bühne.
»Es geht um die Ausgrabungen, die unter meiner wissenschaftlichen Leitung stehen«, fuhr der Mann fort. »Ich habe bereits Ihre Kollegen von der Kriminaltechnik über das Desaster in Kenntnis gesetzt.« Er schien nach Luft zu schnappen. Auf dem hellen T-Shirt des Mannes stand SOMMER-CAMP AUGUSTA TREVERORUM. Denglisch war Walde schon hinreichend bekannt. Der Polizeipräsident hatte dafür eine Vorliebe. Hier kam auch noch Latein hinzu. Er überlegte, wie diese Kombination genannt werden könnte.
»Von welchem Desaster sprechen Sie?«
»Es ist mir unerklärlich, wie Sie dazu gekommen sind, Grabungsergebnisse an die Presse weiterzugeben. Dazu hatten Sie absolut kein Recht!«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen?«
»Seit wann veröffentlicht die Polizei archäologische Grabungsergebnisse, die noch überhaupt nicht dokumentiert sind, und lockt damit womöglich Raubgräber aus aller Welt an. Eigentlich müsste das Grabungsgelände unter Polizeischutz gestellt werden, damit nicht noch mehr Schaden angerichtet wird.«
»Falls Sie sich über meine Arbeit beschweren wollen, wenden Sie sich am besten an die Staatsanwaltschaft oder den Polizeipräsidenten.«
»Das werde ich tun.« Der Archäologe atmete hörbar ein, wobei sich seine Nasenflügel weiteten. »Wann können wir endlich versuchen zu retten, was noch zu retten ist?
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