Finale Mosel
Verfall hat nicht mal ein halbes Jahr gedauert. Mal war er gut drauf, dann wieder down. Früher war er immer lieb zu mir, weil es auch seine zweite Ehe war, und die ist, erfahrungsgemäß, oft besser als die erste, aber dann gab es viel Streit …«
»Und wie hat es sich später zwischen Ihnen beiden entwickelt?«, fragte Gabi.
»Wir hatten wieder unser altes Glück gefunden …« Sie nahm sich ein Taschentuch aus einer Spenderbox und wischte sich die Tränen ab. »Er sagte, ich gäbe ihm Sicherheit, bewahre ihn vor der Einsamkeit fremder Hotelzimmer und möglicherweise vor einem Rückfall. Deshalb bin ich mit hierher gekommen. Früher habe ich mit einem kleinen Digitalrekorder alle seine Auftritte aufgezeichnet.«
»Aber bei der Premiere waren Sie nicht dabei«, sagte Walde.
»Der Druck war zu groß. Ich hätte das nicht ausgehalten und bin im Hotel geblieben.«
»Allein?«
Sie nickte.
»Entschuldigen Sie, ich muss Sie das fragen. Kann jemand bezeugen, dass Sie zwischen dreiundzwanzig und vierundzwanzig Uhr hier im Hotel waren?«
»Nein, ich war allein. Wobei, ich habe mir was vom Zimmerservice bringen lassen.«
»Wann war das?«
»Das kann ich nicht mehr genau sagen. Aber es war spät. Vielleicht eine halbe Stunde, bevor der Anruf aus dem Amphitheater kam …«
Grabbe rollte seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück, als Gabi und Walde ins Büro kamen. Seine linke Hand klemmte in einem aufgeschlagenen Ordner, in der rechten hielt er einen Textmarker.
»Hattest du etwa die Füße hochgelegt?«, fragte Gabi.
Grabbe ignorierte ihre Frage. »Ich hab’ mal die Münchner Ermittlungsakten quergelesen. Da sind einzelne Aussagen von zehn Seiten und mehr dabei, manche Typen haben geredet wie ein Wasserfall.« Grabbe tippte mit dem Textmarker auf einen der vielen Papierstöße auf seinem Tisch. »Das sind an die zwanzig Leute, die sich zum Teil auch gegenseitig in die Pfanne gehauen haben. Und Tiefenbach war eine Art Kronzeuge. Wahrscheinlich gab es einen Deal mit der Staatsanwaltschaft. Er sollte als Erster vor Gericht kommen. Prozessbeginn wäre Ende der Woche gewesen.«
»Nur wenige Tage nach der letzten Vorstellung in Trier«, sagte Walde. »Dann hätte er nach einem gelungenen Comeback mit gestärktem Selbstbewusstsein vor Gericht auftreten können.«
»Möglich«, sagte Grabbe und nahm das oberste Blatt von einem anderen Stapel. »Hier sind alle Namen der Leute aufgelistet, gegen die Tiefenbach ausgesagt hat. Ich habe die Namen mit den Kartenreservierungen für die Antikenfestspiele abgeglichen.« Grabbe verstummte und schaute auf seine Hände.
Gabi tippte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Tisch. »Und?«
»Bingo.« Grabbe lächelte. »Kurt Ferdinand Orthauser, als Beruf steht hier Komponist, ein ganz bunter Hund aus der Münchner Schickeria, stammt aus einem Immobilienclan. Er hat in den USA studiert und dort ein Jahr als Sanyasin in einem Ashram bei Bhagwan höchstpersönlich in Oregon verbracht. Der alte Orthauser hat ihn zurückgeholt und wohl mit Geld gelockt. Dann hat der Junior die Kurve gekriegt und als Komponist und Dirigent …«
»Moment mal, das ist doch der von der Luxemburger Staatskapelle, also der Gastdirigent bei den Antikenfestspielen«, Gabi zog ein Heft aus ihren Unterlagen und blätterte es durch.
»Er gehörte zu Tiefenbachs Münchner Kokserclique«, fuhr Grabbe fort. »Sein Prozess ist genau eine Woche nach der Verhandlung gegen Tiefenbach terminiert, der ihn verpfiffen hat.«
»Hier hab’ ich’s. Kurt Ferdinand Orthauser, Gastdirigent der Luxemburger Staatskapelle.« Gabi tippte auf die Seite im Programmheft, von der sie vorgelesen hatte. »Warum sollte er Karten reservieren? Der kriegt doch sicher ein Kontingent Freikarten.«
»Das erklärt auch, warum er die Kartenreservierung storniert hat.« Grabbe wies auf eine gelb markierte Zeile.
»Gute Arbeit«, sagte Walde. »Kannst du rauskriegen, wo er wohnt?«
»Er wird wahrscheinlich in einem Hotel in Luxemburg wohnen. Übrigens hab’ ich ein paar Artikel ausgedruckt, die sich mit dem Partylöwen Orthauser beschäftigen.« Grabbe übergab Walde zusammengetackerte Blätter.
»Hat die KT was Neues?«
»Keine Ahnung, Sattler ist gerade im Amphitheater.«
»Okay, dann fahren Gabi und ich mal da hin«, sagte Walde. »Bei der Gelegenheit können wir mit Tiefenbachs Kollegen und Orthauser reden.«
Auf dem Parkplatz des Präsidiums ging Gabi zu ihrem Wagen. Walde folgte ihr.
»Haben wir keinen Dienstwagen?«,
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