Finale Mosel
die Kinder noch da sind, wenn sie kommen?« Sie legte sich auf die Seite und zog sich die Decke bis zum Ohr.
»Nein, die machen das nur nachts, wenn niemand da ist und die Kinder und die Erzieherinnen zu Hause sind.«
»Kommen die denn auch woanders hin?« Annikas Stimme klang monoton und müde.
»Wie meinst du das?«
»Zu uns oder so?«
»Nee, da pass’ ich schon auf.«
»Du kannst das.« Sie drehte sich auf den Bauch. »Du kannst alles!«
»Ich kann vieles nicht besonders.« Walde zählte leise auf: »Malen nicht, und singen auch nicht und auswendig lernen …«
Annika murmelte: »Ja, das kann Mama. Aber dafür passt du auf alles auf. Auf mich und Mama und Minka und Quintus und auf unser Haus und den Kindergarten.«
Er nickte. »Ja, das mache ich. Aber nicht allein, dabei helfen ja auch die anderen Polizisten. Weil einer allein sich nicht um alles kümmern kann. Da gibt es Kollegen, also andere Polizisten, die fahren zu Unfällen, andere kümmern sich um …«
»Und du schnappst Verbrecher.«
Walde nickte seufzend und legte das Buch zurück.
Er nahm den Teller mit dem warmen Auflauf und ging hinaus auf die Terrasse. Quintus lag lang ausgestreckt neben Doris’ Liege und ließ sich von ihr das dicke Fell kraulen.
»Schmeckt’s?«, fragte Doris.
»Wunderbar!« Er beobachtete, wie Minka sich von ihrem Stammplatz auf dem Mulch zwischen zwei Buchsbaumkugeln erhob, sich streckte und im Vorbeigehen unter dem Tisch mit dem Schwanz an seinen Beinen entlang strich, bevor sie zu ihrem Napf mit dem Trockenfutter ging und es laut knackend zwischen den Zähnen zermalmte.
Eine Amsel hatte sich auf der Spitze einer Tanne niedergelassen und sang immer neue Koloraturen im Duett mit einem unsichtbaren Vogel, der irgendwo am Rande ihres Reviers, wahrscheinlich ebenfalls auf einem Baumwipfel, hockte.
»Soll ich dir etwas zu trinken mitbringen?«, fragte Walde, als er aufgegessen hatte.
»Danke, nein.«
Beim Hinausgehen sah er, dass sie nur noch wenige, offensichtlich fesselnde Seiten im Buch zu lesen hatte. In der Küche nahm er sich einen Nachschlag und eine kleine Flasche Bier.
Ein Schwarm tief fliegender Krähen wurde auf dem Weg zu ihrem Schlafplatz von einem frisierten Mofa übertönt, das sich anhörte, als würde eine Motorsäge in einer Zinkgießkanne laufen.
Walde legte das Besteck auf den Teller und trank. Die Katze hatte sich wieder auf ihrem Plätzchen zusammengerollt. Die Amsel sang nun außer Sichtweite. Er hielt eine Weile nach ihr Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Ein ganzes Orchester von Vogelstimmen, durchsetzt vom Zirpen einer Grille und dem Summen der Bienen, die für den Tag eine letzte Sammeltour unternahmen, umgab ihn.
Nebenan klappte Doris ihr Buch zu.
»Wie war’s?«
»Gut.« Sie stand auf, wobei sie sich eine Hand auf den Bauch legte. »Möchtest du noch einen Nachschlag?«
»Danke, ich bin pappsatt!«
Sie ging hinein.
Das ferne Brummen eines Flugzeugs legte sich über das Gezwitscher und ebbte wieder ab. Am Himmel schob sich eine dicke weiße Wolkenformation, deren oberer Rand noch von der untergehenden Sonne angestrahlt wurde, vorbei. Heute würde es trocken bleiben. Walde erhob sich und ging ebenfalls hinein.
Doris brachte eine kleine Schale, räumte Annikas in eine Decke gewickelte Puppe von dem Zweisitzersofa und ließ sich darauf nieder.
Walde setzte sich neben sie und probierte einen Löffel Quark mit Erdbeeren, den sie ihm vor den Mund hielt. Während er versuchte, den sauren Geschmack mit einem Schluck Bier wegzuspülen, fragte sie: »Hast du den Keks vom Schrank in der Diele genommen?«
»Mhm.«
»Und?«
»Er war ziemlich trocken.«
»Und welche Botschaft war dabei?«
Er überlegte. »Man sollte immer was zu trinken haben, wenn man einen trockenen Keks isst.«
Sie schob sich wieder einen Löffel Quark in den Mund. »Das hört sich aber seltsam an.«
»Warum?«
»Sonst stehen da immer andere Botschaften.«
»Nee, da stand überhaupt nichts«, er stutzte. »War das etwa ein chinesischer Glückskeks?«
Sie prustete los: »Nun sag nur …«
»Das hab ich nicht bemerkt.«
»Du hast den Zettel wirklich mitgegessen?«
»Ich hatte Hunger … und dann ist der Keks gebröselt und du hast gerufen und Annika …«
Doris lachte und presste dabei beide Hände vor den Bauch.
»Wann warst du denn beim Chinesen?«, fragte er.
Sie hörte auf zu lachen, machte ein nachdenkliches Gesicht. »Das ist schon länger her … Wenn ich mich recht entsinne, schon
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