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Finale Mosel

Finale Mosel

Titel: Finale Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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hatte die Nachbarn von oben schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Irgendein Automatismus ließ ihn seinen Wagen aufschließen. Drinnen roch es nach nassem Hund, muffigen Sitzen und Schmieröl. Walde fuhr los. Nach kurzer Zeit kurbelte er das Fenster herunter. Die Nachtluft traf ihn so frisch wie einen Astronauten die erste Meeresbrise nach dem Ausstieg aus der eben gewasserten Weltraumkapsel.
    Im Autoradio sangen Mark Knopfler und noch ein Typ, dessen Name ihm nicht einfiel, Sailing to Philadelphia. Walde nutzte die Schleichwege zum Präsidium. Die Fassade an der Ostseite, wo sein Büro lag, war komplett dunkel. Er wollte sich einen Abzug des Fotos holen, das Gorzinsky vom toten oder sterbenden Tiefenbach gemacht hatte. Mark Knopfler spielte eins seiner klangvollen und nur wenige Töne benötigenden Soli.
    Walde entschied sich weiterzufahren. Er glaubte, das Foto so gut verinnerlicht zu haben, dass er die Position des Fotografen am Graben wiederfinden würde. Die Bilder waren gegen Mitternacht entstanden, da war es hinter dem Hügel des Amphitheaters stockdunkel gewesen. Womöglich war es besser, die Position des Fotografen ebenfalls im Dunkeln zu erkunden. Würde er bis zum nächsten Abend warten, wäre der Graben, in den Tiefenbach gestürzt war, wahrscheinlich bereits verfüllt. Sattler hatte gesagt, der Fotograf habe sich in einer Position gegenüber von Tiefenbach befunden.
    Mark Knopflers Stimme klang längst nicht so wohltönend wie die von James Taylor – jetzt fiel ihm der Name wieder ein – oder der Klang seiner Leadgitarre, und dennoch faszinierten die Abgeklärtheit und die Unaufgeregtheit, in die Knopfler seine bescheidenen gesanglichen Mittel kleidete. Walde bog im Kreisverkehr hinter dem hässlichen Klotz des ehemaligen Präsidiums in die Straße zum Amphitheater ein. Der Besucherparkplatz war wie erwartet leer. Im Kofferraum fand er eine Taschenlampe, die beim zweiten Versuch funktionierte. Er schaltete sie aus, als unterhalb ein Taxi vorbeifuhr.
     
    Die Gebäude und Tore an der Westseite des Amphitheaters bildeten eine unüberwindliche Barriere. Daneben lag eine Schule in einem großen, parkähnlichen Gelände. Das niedrige Tor war nicht abgeschlossen. Walde blickte sich um, als er die quietschende Klinke drückte. Niemand war auf der von den gelben Lampen über einem Zebrastreifen beleuchteten Straße zu sehen. Auf dem Gelände schlich Walde durch das Wäldchen am Zaun entlang zum angrenzenden Amphitheater. Das Rauschen der Blätter im Wind war lauter als seine vorsichtigen Schritte in dem trockenen Laub. Ein Wagen fuhr auf der Straße. Walde drehte sich um. Die Bäume verdeckten die Sicht. Im Schein der Taschenlampe tauchte ein schmaler Trampelpfad auf. Links stand das zweistöckige Schulgebäude mit großen schwarzen Fenstern. Es schien keine Hausmeisterwohnung zu geben.
    Hoch über Waldes Kopf war ein starkes Rauschen zu hören. Er streckte prüfend eine Hand aus, weil er glaubte, ein Platzregen ginge nieder. Das Wäldchen lichtete sich vor einem Gebäude. Als er es anstrahlte, erkannte er die blaue Verbretterung des kleinen einstöckigen Flachbaus, den er tagsüber vom Amphitheater aus gesehen hatte. Nicht weit von hier war die Grabungsstelle. Dem Ruf eines Käuzchens folgte ein fernes Gegröle von Männerstimmen, wahrscheinlich von einem späten Gelage im Palastgarten. Vor ihm waren Schritte zu hören. Walde blieb mit angehaltenem Atem stehen. Sein Herz begann zu pochen. Jemand pfiff leise, schien ihn nicht gehört zu haben und bemühte sich nicht, leise zu sein. Er kam immer näher. Walde spannte seine Muskeln und packte die Taschenlampe fester. Der andere war nur noch wenige Schritte entfernt. Walde sah die Konturen der Baumstämme, sonst nichts. Nun waren die Schritte neben ihm. Waren hier Einbrecher auf dem Schulgelände? Das wäre ein Ding! Und wieder wurde gepfiffen. Es schien vom Boden her zu kommen. Und dann sah Walde im Lichtstrahl der Taschenlampe, was sich da pfeifend und mit Getöse durchs Unterholz bewegte. Es war ein Igel, der die Beine lang gestreckt hatte und ab und zu einen Pfiff ausstieß.
    Walde atmete tief durch. Er gelangte zu einem kleinen Hügel aus verrotteten Gartenabfällen. Die Länge seiner Beine reichte, um den Maschendraht und die zwei darüber gespannten Stacheldrähte zu überwinden. Die nach unten gebogenen Drähte zeigten, dass er nicht der Erste war, der diesen Weg nahm. Drüben waren die dunklen Konturen der hohen Mauern zu erkennen, in denen Walde den

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