finde-mich-sofort.de (German Edition)
seine Gesichtszüge. Er gefiel mir, und ich registrierte erfreut, dass sein Foto im Netz wirklich aussagekräftig war. Nach einer gefühlten Ewigkeit bestellte er für uns beide Spaghetti mit Garnelen.
»Was arbeitest du eigentlich?«
»Ich bin Buchhalter!« – Natürlich, wie dumm von mir.
Und weil ich selbst, lang ist’s her, an der Handelshochschule Leipzig Ökonomie studiert habe, fühlte ich mich berufen, genauer nachzufragen. Und er erzählte. Oje, dachte ich, als er freundlich und mit ernstem Gesicht meine Fragen beantwortete, wie langweilig! Aber vielleicht war er nur froh, überhaupt ein Thema zu haben, an dem er sich festhalten konnte. Die ersten Minuten mit einem Fremden sind selten leicht, sagte ich mir. Man sitzt sich verkrampft gegenüber, lächelt verlegen und führt eine gezwungene Unterhaltung. Und um nichts in der Welt will man sich seine Unsicherheit anmerken lassen. Dazu ist fast jedes Mittel recht, selbst ein einschläferndes Gespräch über einen öden Job. Ein paar Monate später schrieb Buchhalter in einer E-Mail jedenfalls:
Liebes Wuschelköpfchen, ich habe neue Arbeit. Wenn du nicht nett zu mir bist und ich meine, das sollte mit hirnverzehrender Langeweile bestraft werden, werde ich dir von dieser Arbeit erzählen. Sie ist so trist, dass ich mir nicht einmal nach drei Cocktails einbilden kann, sie sei unterhaltsam.«
Sieh da!
Aber noch lauschte ich mit wachsender Müdigkeit seinen Ausführungen über Bilanzen und Skonti, Doppelbesteuerungsabkommen und Investmentsteuergesetze. Ich wurde erst wieder munter, als er auf sein Hobby zu sprechen kam: Comedy. Er besuchte oft die sogenannten »Open Stage«-Abende in Berliner Kleinkunstkneipen. Und das ist schließlich meine Szene, denn zusammen mit meiner Kollegin Andrea Meissner – unser gemeinsamer Nachname ist tatsächlich reiner Zufall – trete ich in Comedyshows auf. Andrea ist die Frau mit dem wunderbarsten Lachen der nördlichen Hemisphäre, auf der Bühne und auch im wahren Leben. In unserem Duo gibt sie, passend zu ihrem Typ, die schrille, kleine, pummelige Frau, ich dagegen die moderate, intellektuell fabulierende, sexgierige Lady mit tiefem Dekolleté und aufgepolstertem Busen.
Buchhalter erzählte von seinen Kleinkunsterlebnissen und brillierte mit Pointen. Jetzt konnte ich seine Augen so wunderbar leuchten sehen wie auf seinem Foto im Internet.
Ich erzählte von meiner Freundin Ilka, die vor dem Fernsehapparat und den Augen ihres Mannes einen sensationellen Striptease hinlegte, worauf ihr Gatte lediglich bat: »Geh doch mal aus dem Bild!«
»Na ja«, meinte Buchhalter , »das war dann einfach der falsche Zeitpunkt. So etwas gehört in die Halbzeit-Pause. Und um allen Missverständnissen vorzubeugen, sollte sie an der richtigen Stelle, also unter ihrem Bauchnabel ein Fußball-Tor auf die Haut malen. Dann weiß der Gatte, worum es geht!«
»Aber«, gab ich zu bedenken, »er wird beunruhigt anmerken: ›Die Pause dauert doch nur fünfzehn Minuten, Schatz ‹ , worauf sie ihn beruhigt: ›Keine Sorge, länger als drei Minuten brauchst du nie, Liebling!‹« *brüll*
Buchhalter und ich verstanden uns prächtig. Wir kicherten und überlegten uns abstruse Geschichten. Was machten Männer noch gern? Am PC sitzen, genau. Also sollte die vernachlässigte Ehefrau, als Überraschung gewissermaßen, einen neuen Bildschirmschoner einstellen: ein aufreizendes Foto von sich selbst in Dessous.
»Um Himmels Willen, wenn er das Gerät einschaltet, schreit er laut auf und ruft gleich einen Kumpel mit PC -Fachkenntnissen an, weil er glaubt, er hätte einen Wurm auf der Festplatte!«, meinte Buchhalter . »Besser wäre doch, sie würde auf all seinen heruntergeladenen Fotos von vollbusigen nackten Frauen ihr Gesicht einscannen!«
»Vielleicht würde er diese Veränderung nicht mal bemerken …«, warf ich ein.
Ich fand diesen auf den ersten Blick so ernst wirkenden Mann und seine absurden Ideen amüsant. Wir lachten den ganzen Abend und hatten längst das Restaurant verlassen, weil der Inhaber zu oft auf seine Uhr geschaut hatte. Da wir noch nicht genug voneinander hatten, gingen wir in die nächste Bar. Buchhalter bemerkte dort, dass er seine leere Zigarettenschachtel mitgenommen und die neue, volle beim Italiener hatte liegenlassen. Ängstlich dachte ich: Ein richtiger Buchhaltertyp geht jetzt zurück, klingelt den Wirt raus und verlangt seine Schachtel – zum Glück, er tat es nicht! Erst in den Morgenstunden verabschiedeten wir uns auf
Weitere Kostenlose Bücher